HilfeArchivProbeabo




Donnerstag, 02. Dezember 1999
Berlin, 15:27 Uhr
Aktuelle Nachrichten

HOME

POLITIK

WIRTSCHAFT

IMMOBILIEN
FEUILLETON
    Kalender
    Bestseller
    Webtipps
    Specials
    Serien

SPORT

FORUM

WISSENSCHAFT

MEDIEN

AUS ALLER WELT

HAMBURG

BERLIN

BAYERN

THE NEW BERLIN

WEBWELT

BERUFSWELT

AUDIOWELT

TAGESINHALT

WETTER

ABONNEMENT

MEDIA-INFO

ARCHIV

HILFE

IMPRESSUM

KONTAKT

ANMELDUNG





Wenn deutsche Professoren wie Babys wirkenDeutsche Hochschullehre muss sich mehr dem Englischen öffnen, ohne auf die eigene Sprache zu verzichten

 

Von Ulrich Ammon

Zweierlei Entwicklungen unserer Hochschulen sind Besorgnis erregend. Einerseits der schwindende Zuspruch durch Studierende aus dem Ausland. Zwar weist die Statistik beachtliche Zahlen aus (150 000), aber ein gutes Drittel sind "Bildungsinländer": Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die seit längerem in Deutschland leben und hier schon zur Schule gingen, etwa Deutschtürken.

Nur "Bildungsausländer", die speziell zum Studium kommen, sind jedoch echte Auslandsstudierende. Unter ihnen sind Ostasien und Lateinamerika besonders schwach vertreten; Studierende von dort werden abgesaugt von den angelsächsischen Hochschulen. So büffeln in Deutschland nur 1600 Japaner und 5000 Chinesen, in den USA dagegen 46 000 bzw. 72 000; auch für Großbritannien sind die Zahlen höher (4200 Japaner). Damit fehlen uns in Zukunft wichtige Verbindungen zu diesen Ländern.

Der andere Grund zur Besorgnis ist die mangelnde Beteiligung deutscher Wissenschaftler an der internationalen Kommunikation. Zwar liegen keine direkten Vergleichszahlen vor, wohl aber diverse Anzeichen. Deutschen Besuchern wissenschaftlicher Weltkongresse fällt regelmäßig auf, dass sich dort mehr Niederländer oder Skandinavier tummeln als eigene Landsleute. Vollends dominieren angelsächsische Länder. Für die internationale Isoliertheit deutscher Wissenschaftler gibt es auch Indizien, die auf des Pudels Kern verweisen.

Auf den Weltkongressen ist stets Englisch Konferenzsprache, gelegentlich - in untergeordneter Funktion - auch Französisch oder Spanisch, aber nie Deutsch. Viele deutsche Wissenschaftler haben auf Befragen erklärt, dass sie wissenschaftliche Kommunikation meiden, sofern die englische Sprache erforderlich ist: Ein Fünftel verzichtet dann auf die Teilnahme an Kongressen, ein Viertel auf Kollegenkontakte und ein Drittel aufs Publizieren. Solche Kommunikations-Abstinenzler sind keine Global Players ihres Fachs.

Mangelnde Englischkenntnisse sind ein maßgeblicher Faktor. "Wie Babys" wirkten manche deutsche Professoren, wenn sie englisch sprechen, sagt ein Netzwerk-Koordinator der European Science Foundation, bei der keine andere Sprache als Englisch zugelassen ist.

Würde man an deutschen Hochschulen Englisch als Sprache der Lehre einführen, schlüge man zwei Fliegen mit einer Klappe: den Schwund von Auslandsstudierenden und die internationale Isolation deutscher Wissenschaftler. Ein Versuch sind die "International Courses in Germany" in naturwissenschaftlichen, technischen und wirtschaftswissenschaftlichen Fächern, die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert werden. Im Wintersemester 1997/98 haben sie an 18 Orten begonnen; heute schmücken sich damit schon 42, also rund ein Drittel der deutschen Hochschulen. Wesentliches Element ist die Lehre in englischer Sprache. Sie ermöglicht Ausländern den Zugang ohne Deutschkenntnisse und bringt deutschen Studierenden und Dozenten die heutige Wissenschafts-Lingua-franca näher; in beiden Richtungen werden also Barrieren abgebaut. Diese Studiengänge erfreuen sich nachhaltigen Zuspruchs seitens deutscher und ausländischer Studierender - außer aus Hochtechnologieländern (USA, Japan), wo man zweifelt, ob deutsche Hochschulen modernstes Wissen bieten, denn ihr Ruf im Ausland unterschreitet noch die von Sparzwängen gezeichnete Wirklichkeit, nicht zuletzt auf Grund schwacher internationaler Präsenz.

Englischsprachige Lehre an deutschen Hochschulen öffnet uns die Augen für die Wichtigkeit, ja Unverzichtbarkeit der englischen Sprache im heutigen Wissenschaftsbetrieb, besonders in Naturwissenschaften, Technologien, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften; allenfalls in den Geisteswissenschaften sind Sprachen wie Deutsch oder Französisch noch respektiert. Der jetzige Anteil des Deutschen an den weltweiten Publikationen der Naturwissenschaften von 1,2 Prozent und der Sozialwissenschaften von 4,1 (gegenüber 90,7 bzw. 82,5 des Englischen) spiegelt zwar auch Nicht-zur-Kenntnisnahme - die Datenbanken, denen die Zahlen entstammen, sind angelsächsisch und vernachlässigen anderssprachige Publikationen -, jedoch steht außer Zweifel, dass Englisch tatsächlich vorherrscht.

Ohne Englischkenntnisse geht es heute nicht mehr, und die Hochschulen müssen dem Rechnung tragen. Es wäre aber falsch, deshalb die eigene Sprache zu vernachlässigen. Die meisten internationalen Studiengänge verbinden beides durch Zweisprachigkeit. Sie ermöglichen einerseits den Einstieg in das Studium nur mit Englisch und vermitteln andererseits Deutschkenntnisse. Rein englischsprachige Studiengänge verstoßen gegen die Interessen sowohl unseres Landes als auch der Auslandsstudierenden.

Für Letztere sind Deutschkenntnisse eine oft bedeutsame Zusatzqualifikation, die ihnen Zugang zur wirtschaftlich drittgrößten Sprachgemeinschaft eröffnet (alle deutschsprachigen Länder) - abgesehen vom praktischen Nutzen im hiesigen Alltag. Für die deutschsprachigen Länder sind Deutschkenntnisse Auslandsstudierender bedeutsam, weil sie die Verbindung zu ihnen festigen. Dies ist legitime Nebenabsicht bei der Gewährung eines - im Gegensatz zu vielen anderen Ländern - gebührenfreien Studiums. Der scheinbar edelmütige Totalverzicht auf die deutsche Sprache - auch auf anderen Ebenen, etwa von Firmen im Ausland oder Politikern der EU - entspricht in Wirklichkeit nicht selten kurzsichtigem Eigeninteresse.

Das Angebot englischsprachiger Lehre an deutschen Hochschulen muss erweitert und verbessert werden. Es darf jedoch nicht dem Lernen von Deutsch als Fremdsprache im Ausland das Wasser abgraben. Sonst zerstört man draußen, was man drinnen aufbaut. Wer schon vor dem Studium Deutsch lernt, muss einen Vorteil haben, auch in Zukunft. Dies ist garantiert, solange der Erwerb von Deutschkenntnissen obligatorischer Studienbestandteil bleibt, von dem Deutschlerner entlastet sind.

Trotz unstreitiger Funktion des Englischen als Welt-Lingua-franca spielen auch zukünftig andere Sprachen international eine Rolle, bilateral und regional. Solides Englisch ist für global Agierende unverzichtbar, aber erst weitere Sprachen geben der Berufsqualifikation Feinschliff. Deutsch ist immer noch wichtig und weltweit dritt- oder vierthäufigst gelernte Fremdsprache (nach Englisch, Französisch und Spanisch). Englisch erschließt die Welt, aber ohne Deutsch bleiben Kontakte zu Mittel-, teilweise auch Osteuropa oberflächlich.

Ulrich Ammon ist Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Duisburg

1