DEUTSCH IM AUSLAND / Unter dem Sparzwang orientiert sich die Spracharbeit neu

Nachfrage nicht gefragt

Die auswärtige Kultur-politik steht vor der Entscheidung, ob sie mit wenig Geld möglichst viele Interessenten oder nur die Elite fördert.

  Autor: HERMANN HORSTKOTTE

So war das nicht gedacht: Mit dem zweiten Staatsexamen für das Lehramt wollte Hans Ulrich Berendes seine Karriere im erlernten Beruf nicht schon beenden. Zwar fand er keine Stelle an einem Gymnasium hierzulande. Aber eine Zeitungsanzeige wies den Weg in die mexikanische Millionenstadt Guadalajara. Das war vor bald zehn Jahren.
  Eine Privatschule mit verstärktem Deutschunterricht, das Colegio Alemán, suchte einen weiteren Lehrer, der die Sprache schon von Kindesbeinen an beherrschte. Hans Ulrich Berendes ergriff die Gelegenheit, zum ortsüblichen Salär, das etwa seinem bisherigen Referendarsgehalt entsprach.
  Familien aus dem mexikanischen Bildungs- oder Besitzbürgertum versprechen sich von auslandsorientierten Schulen bessere Berufschancen für ihre Kinder, etwa bei deutschen Firmen im Lande. Dafür verlangt der Elternverein als Schulträger des Colegio Alemán in Guadalajara pro Zögling und Monat umgerechnet rund 500 Mark. In der Stadt behaupten sich außerdem eine amerikanische, eine englische, eine französische und sogar eine spanische Privatschule. Einige davon bitten die Nutzer noch stärker zur Kasse als die "deutsche" Konkurrenz.


Abitur in Mexiko

  Neben solchen privaten Bildungsanbietern gibt es in Mexiko-Stadt eine offizielle "Begegnungsschule", die vom Auswärtigen Amt finanziell unterstüzt wird. Gegenwärtig zählt sie rund 2000 Schüler, die meisten davon Mexikaner. Diese "Alexander-von-Humboldt-Schule", benannt nach dem Mexiko-Reisenden der Jahre 1803/1804, führt zum deutschen Abitur. Einige Lehrer sind - anders als "Ortskräfte" wie etwa der Kollege Berendes - fest im deutschen Schuldienst, Beamtenstatus und Besoldungssystem verankert und auf einige Jahre ins Ausland "entsandt".
  Gemeinsam mit der Deutsch-Mexikanischen Handelskammer richtete die Schule in der Hauptstadt 1996 ein Berufsbildungszentrum für angehende Industriekaufleute ein. Die ersten Absolventen nach deutschem Muster erwarben im vergangenen Jahr ihr binationales Diplom. Für sie macht sich die deutsche Schule, im wesentlichen der Spracherwerb, jetzt bei Siemens, Audi und anderen deutschen Firmen in Mittelamerika gut bezahlt.
  Viele, meist aus beruflichen Gründen "spätberufene" Deutschlerner besuchen Kurse in den Goethe-Instituten von Mexiko-Stadt und Guadalajara. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), wie "Goethe" hauptsächlich vom Auswärtigen Amt finanziert, hat vier Sprachlektoren an mexikanischen Hochschulen plaziert. Neuerdings trägt er zudem die Kosten für die nötigen Deutschkurse von mexikanischen Regierungsstipendiaten, die zur Fortbildung an unsere Universitäten kommen -unsere "Auswärtige Kulturpolitik" will möglichst viele Studenten aus aller Welt an den Wissenschaftsstandort Deutschland ziehen, um nachhaltige Verbindungen mit den Eliten von morgen zu knüpfen.
  Mexiko gibt ein Musterbeispiel für das vielfältige Netzwerk deutscher Bildungs- und Sprachangebote im Ausland. Allein für den Schulbereich stellt das Außenministerium im Jahr weltweit rund 380 Millionen zur Verfügung, aus einem Kulturetat von insgesamt 1,1 Milliarden Mark. Das Goethe-Institut mit der Sprachvermittlung als einem Hauptzweck erhält derzeit 360 Millionen. Soviel gibt kein anderes Land für die Pflege der eigenen Sprache und Schulbildung in der Fremde aus.
  Doch der gegenwärtige Sparkurs der Bundesregierung trübt das glänzende Bild. Nach jahrelang stagnierenden Etats muß die auswärtige Kulturpolitik jetzt Kürzungen von gut sechs Prozent verkraften. Das Goethe-Institut sieht sich deshalb gezwungen, etwa zehn seiner weltweit rund 140 Außenstellen zu schließen. Der DAAD kann seine fast 500 befristeten Lektorenstellen rund um den Erdball nur dank vorausschauender Gehaltssenkungen aufrechterhalten, wie sie im öffentlichen Dienst sonst unbekannt und unvorstellbar sind.


Pauschal abrechnen

  Auch die entsandten Lehrer an den rund 120 deutschen Auslandsschulen, die zum Abitur oder mindestens zum Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz (KMK) führen, müssen sich seit Jahresanfang mit weniger zufriedengeben. Das Auswärtige Amt übernimmt die Umzugskosten und die Miete nicht mehr prozentual, sondern berechnet eine Pauschale. Dadurch werden erhebliche Mittel eingespart, wie Albert Spiegel, der Leiter der Kulturabteilung, bemerkt.
  DAAD-Präsident Theodor Berchem findet die Neuerung nur recht und billig, jedenfalls im Vergleich mit seinen Lektoren. Neidvoll erinnert sich beispielsweise auch Lehrer Berendes an den Fachleiter für Deutsch an der Schule in Mexiko-Stadt, der mit ihm zusammen in Guadalajara die mündliche Prüfung für das KMK-Sprachdiplom abnahm. "Dessen Lebensstandard mit dem Haus in bester Wohnlage der Hauptstadt, das war mein Traum." Doch der war für eine "Ortskraft" mit landesüblicher Entlohnung von Anfang an reine Utopie. Nach drei Jahren ging der promovierte Historiker zurück nach Deutschland, um Industriearchivar des Chemieunternehmens Degussa-Hüls zu werden - wiewohl oder auch weil er mit einer Mexikanerin eine Familie gegründet und für drei Köpfe zu sorgen hat.
  Statt Lehrer aus dem inländischen Schuldienst auszuleihen, beschäftigt die "Auswärtige Kulturpolitik" schon seit zehn Jahren vermehrt "Programmlehrer". Diese wurden zunächst vor allem für Hilfsprogramme in den mittel- und osteuropäischen Reformländern eingesetzt und steigen mit einem deutschen Anfängergehalt ein. Schließlich gibt es ja genug stellungslose Lehrpersonen. Auch deshalb kann sich Albert Spiegel vom Außenministerium für "Programmlehrer" eine große Zukunft an allen Auslandsschulen vorstellen.
  Im übrigen und ganz grundsätzlich ist das Schulangebot im Ausland keine zwingende, sondern eine freiwillige Leistung des Staates. Die Schulpflicht endet an der Grenze. Sogar Diplomaten bleibt mancherorts nichts anderes übrig, als ihre Kinder selber zu Hause zu unterrichten. Das Auswärtige Amt hat deswegen mit dem Hamburger "Institut für Lernsysteme" einen Vertrag über stundenweise eingeteilte Lehrmaterialien für die Sekundarstufe I.
  Zugespitzt stellt sich dem verantwortlichen Beamten Spiegel die Frage: Läßt sich die deutsche Sprache und Bildung am wirksamsten dem Schüler oder erst dem Hochschüler vermitteln, zum Beispiel den mexikanischen Regierungsstipendiaten? In der Schule, so der Diplomat, sind relativ hohe "Streuverluste" zu befürchten, weil ja noch nicht absehbar ist, ob der Deutschlerner in Kinderschuhen einmal in die Elite seines Landes aufsteigt und damit als unser Partner interessant wird. Die amtliche Devise heißt deshalb: die große Nachfrage im Schulbereich mit den gegebenen Mitteln möglichst weitgehend decken, aber nicht noch Nachfrage wecken.
  Dagegen rührt die Bildungspolitik die Werbetrommel unter ausländischen Studenten. Die DAAD-Lektoren bieten neben philologischen mehr und mehr fachsprachliche Kurse an, etwa in Wirtschafts- oder Juristendeutsch. An einzelnen Hochschulen gibt es sogar deutschsprachige Studiengänge, beispielsweise an der Istanbuler Marmara-Universität in Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik. Die Bundesregierung fördert die dortige Ausbildung seit 1991 mit Millionenbeträgen. Die sprachlichen Voraussetzungen bringen die Studenten meist von einheimischen Gymnasien mit einem zweisprachigen Fachunterricht mit.


Globales Dorf

  Gleichzeitig sollen englischsprachige Studiengänge mit dem Abschluß als Bachelor oder Master ausländische Bewerber an deutsche Hochschulen lokken. Das Deutsche ist zwar stark im Internet präsent, aber es ist nicht mehr eine führende Gemeinsprache für die Elitenkommunikation wie noch bis in die erste Hälfte dieses Jahrhunderts. Das erweist sich selbst unter Inländern. "Neunzig Prozent unserer ,high potentials' für Deutschland", erklärt Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff und meint den Spitzennachwuchs, "haben hier mal ein Diplom gemacht und sich dann an den sechs besten US-Business-Schools weiterqualifiziert."
  Auf diesem Weg wird die deutsche Sprache und Bildung im globalen Dorf fast zwangsläufig zur Nebensache. Das Wirtschaftsleben, so scheint es, wird auch über das Schicksal der Sprache das letzte Wort behalten.

Ausgabe: 43/99

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