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Der Ansturm der Inder bleibt wohl aus

Im Sommer sollen nach dem Willen der Bundesregierung schon die ersten Software-Spezialisten aus Indien kommen. Eine Umfrage in der Heimat der Informationstechnologie zeigt, dass die Aussicht, nach Deutschland zu gehen, kein großer Anreiz ist.


Von HILMAR KÖNIG

Dewang Mehta, der Direktor der Nationalen Assoziation von Software- und Servicefirmen (NASSCOM), setzt ein feinsinniges Lächeln auf. Er versteht nicht, warum deutsche Politiker, vor allem der CDU-Spitzenkandidat für Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers, so eine Kampgagne gegen die Green Card für ein paar Tausend indische und osteuropäische Informatiker entfacht haben. In seinem Büro in Neu-Delhi sagt er: "Es geht doch gar nicht um Einwanderung, sondern um einen befristeten Arbeitsaufenthalt der Infotechnologen. Das nutzt der deutschen Wirtschaft wie der indischen Software-Industrie. Die USA haben mit der Hilfe indischer IT-Ingenieure Vorteile im internationalen Wettbewerb erlangt. Warum nicht auch Deutschland?"
Wie Mehta äußern sich auch andere Insider der Informationstechnologie-Branche (IT) positiv zum Angebot von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Deepak Kumar Sareen, Exekutivdirektor des Rates zur Förderung des Exports von Elektronik und Computer-Software, spricht von einer begrüßenswerten Vision Schröders, sich dem globalen Markt gemeinsam zu widmen. "Beide Seiten profitieren davon."
Und die IT-Experten, die Ingenieure, Programmierer, Designer, Entwickler - sitzen sie in den Startlöchern für die Reise nach Deutschland, lauert die "indische Gefahr" für den deutschen Arbeitsmarkt bereits sprungbereit? Dewang Mehta gibt eine nüchterne Antwort: "Vor fünf, zehn Jahren wären wir begeistert gewesen. Doch die Lage hat sich verändert. Wir müssen nicht auf Einladungen warten. Unsere Leute können in die USA, nach Großbritannien, Frankreich gehen oder auch in Indien bleiben. Trotzdem würden wir diese neue Möglichkeit gern nutzen. Die deutschen Partner sind schon sehr wichtig für uns. Bei unserem Potenzial an Fachkräften könnten wir alle deutschen Anforderungen schnell erfüllen."
Der NASSCOM sind über 520 IT-Firmen angeschlossen. Und es hat ganz den Anschein, als ob dieser Verband die Schlüsselrolle spielen wird für den "Trip nach Germany", sobald alle Details zur Ausstellung von Green Cards bekannt sind. Agenten von Rekrutierungsbüros und so genannte Bodyshopper-Firmen, die bisher vor allem im Raum Bangalore und Mumbai (Bombay) IT-Spezialisten in die USA vermittelt haben, dürften bei der deutschen Green Card keine besonders guten Karten haben. "Wir wollen das nicht auf individueller Basis, sondern zwischen unseren Mitgliedern und jenen deutschen Unternehmen regeln, die unsere Spezialisten brauchen", versichert Mehta. Sein Generalmanager S. V. Ramachandran ergänzt: "Unsere Firmen wollen die besten Leute schicken, denn ihre Reputation und die Indiens als Software-Gigant steht auf dem Spiel."
Die stürmische Entwicklung der indischen Informationstechnologie gehört zweifellos zu den erstaunlichen Erfolgsstorys des Landes. Premier Atal Bihari Vajpayee drückte seine Begeisterung darüber aus, als er unlängst IT mit "India's Tomorrow" (Indiens Zukunft) übersetzte. Nicht nur seine Regierung, sondern auch Industrie, Handel, Kommerz und Big Business gäben sich überzeugt davon, dass Infotech den Schlüssel für rapides und anhaltendes Wirtschaftswachstum liefere und den Durchbruch in der Bekämpfung von Massenarmut und Unwissenheit ermöglichen werde. IT - die Zauberformel, mit der alle Übel verschwinden?
Jedenfalls läuft Indien erstmals sei Erlangen der Unabhängigkeit im Jahre 1947 auf einem Gebiet nicht der Entwicklung hinterher, sondern ist zumindest bei Software Trendsetter und treibt mit seinem schier unerschöpflichen Reservoir an Fachleuten global die Infotech-Revolution voran. 30 Prozent aller Software-Ingenieure in der Welt stammen aus Indien. Allein im "Silicon Valley" betreiben Amerikaner indischer Herkunft 750 Unternehmen. Um ein Beispiel zu nennen: Der "Erfinder" von Hotmail.com, Sabeer Bhatia, verkaufte sein Produkt für 100 Millionen Dollar an Microsoft und gründete jetzt in Indien eine neue Firma, Arzoo.com. Nach Präsident Bill Clintons Meinung können die USA nicht genug bekommen von den indischen "Software-Genies". 280 000 Inder sind auf allen Kontinenten im Software-Sektor tätig.
Auf dem südasiatischen Subkontinent gibt es schon mehrere "Silicon Valleys". Bekannt sind Bangalore und Hyderabad, aber auch Mumbai und Pune, Chennai und Kalkutta, Delhi und Gurgaon gelten bereits als IT-Zentren. Zwischen 1990 und 1999 verbuchte der Software-Sektor jährliche Zuwachsraten von über 50 Prozent. Die Exporte machten 1998/99 acht Prozent der indischen Gesamtausfuhr aus. Im Jahre 2002/03 werden es fast 23 Prozent sein. Das Exportvolumen 1999/2000 wird bei knapp vier Milliarden Dollar liegen.
Warum gehören die Inder gerade auf dem IT-Gebiet zur Weltspitze? Sind es besondere mathematische Veranlagungen? Schließlich haben ihre Vorväter die Null erfunden. Ist es eine Begabung für logisches Denken oder - wie manche Ausländer glauben - für Querdenken? Dr. Hannelore Bossmann, Direktorin des Regionalbüros des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Neu-Delhi, sieht das Geheimnis des Erfolgs in einem rigorosen Ausleseverfahren. An den fünf renommierten indischen Technologie-Instituten (IIT) bewerben sich jährlich 250 000 talentierte junge Leute um Aufnahme. Davon werden höchstens 3000, die "absolute Sahne", angenommen. Dr. Bossmann weiß von Deutschen, die an den IIT studieren, dass deren indische Kommilitonen "sagenhaft abstrahieren und simulieren können, während bei Deutschen die praktische Seite eine beträchtlich stärkere Rolle spielt. Außerdem erfolgt an den IIT eine frühe Spezialisierung sowie eine exzellente Betreuung seitens der Professoren, die stets für die Studenten erreichbar sind".
Um die Abgänger dieser und anderer hochklassiger Bildungseinrichtungen reißt man sich im In- und Ausland. Als kürzlich das Institut für Management in Ahmedabad (Bundesland Gujarat) seine Absolventen entließ, hatten auf dem Campus "Akquisiteure" von ausländischen Unternehmen, vor allem aus den USA und Großbritannien, im wahrsten Sinne des Wortes ihre Zelte aufgeschlagen. Mit Unsummen feilschten sie um die Kandidaten, die im Handumdrehen ihre Einstellungsverträge mit Traumgehältern in der Tasche hatten. Mehr als 50 000 Inder studieren im Ausland, davon allein 35 000 in den USA. In Deutschland sind es etwa 670 gegenüber mindestens 6000 chinesischen Studenten. Aus der Sicht des DAAD liegen hier für Deutschland bislang vernachlässigte Reserven, vom indischen Wissenspotenzial zu profitieren. Das ließe sich durch befristete Arbeitsgenehmigungen nach dem Studium nutzen.
Indien braucht seine Fachleute in wachsendem Maße selber und bietet ihnen immer lukrativere Bedingungen. Nach Dewang Mehtas Meinung erhalten sie hier inzwischen internationalem Niveau entsprechende Gehälter. Dazu oft noch eine von der Firma bezahlte Mietwohnung samt Hausangestellten sowie einen Dienstwagen mit Fahrer. Bedeutend niedrigere Lebenshaltungskosten in Indien, geringere Ausgaben für den Schulbesuch der Kinder und für Fortbildung, die heimische Küche, der indische Lebensstil und die vertraute Umgebung, das Klima und das Parlieren in der Muttersprache, die ja nicht Englisch ist, sowie ein höherer Sozialstatus machen heutzutage einen Job in Indien durchaus attraktiv. Deshalb hat sogar aus den USA eine Rückkehrbewegung eingesetzt.
Alle diese Faktoren sind es, die Mehta, Ramachandran, Sareen und auch deutsche Kreise in Neu-Delhi in ihrer Auffassung bestärken, die IT-Spezialisten wollten sich nicht in Deutschland niederlassen. Vielmehr sehen sie ihre Zukunft in Indien. Täglich werden hier ein Dutzend so genannte Dot.com-Unternehmen gegründet. Sie haben das leuchtende Beispiel von Azim Premji vor sich, dem "Software-Kaiser" von der Wipro-Corporation und angeblich drittreichsten Mann in der Welt, der in Indien sein Glück und seine Milliarden machte und ganz und gar nicht an einen Standortwechsel denkt.
Bei dieser ganzen Entwicklung geriet das Reizwort "Brain Drain" aus den 70er- und 80er-Jahren, das die Abwerbung von technischer Intelligenz aus Indien und anderen Entwicklungsländern umschrieb, völlig aus der Mode. Mehta meint scherzhaft besser "brain drain" als "brain in the drain" (etwa: Intelligenz in den Eimer oder in die Gosse) und verweist dann auf die allmähliche Rückkehr der Spezialisten, die Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre in die USA gingen. Sie kommen mit enormen praktischen Kenntnissen heim, oft mit ordentlichem Kapital und wissen, wie man in einer hoch entwickelten kapitalistischen Gesellschaft Erfolg haben kann. Das alles nützt heutzutage Indien.
Sareen glaubt, inzwischen sei es untergeordnet, wo sich das "brain" befindet. Alles ist elektronisch vernetzt und per Mausklick abrufbar. Deshalb kooperieren ja auch etliche deutsche Firmen mit Software-Unternehmen in Indien und lassen sich von den indischen "Gehirnen" Software-Lösungen erarbeiten und per Datenautobahn zuschicken. Daimler-Chrysler, Siemens, Bosch und andere haben in Indien eigene Forschungs- und Entwicklungszentren eingerichtet.
Gegenwärtig zeichnet sich ein "Ansturm der Hindus" jedenfalls nicht ab. Die Botschaft und die Generalkonsulate, der DAAD, die Deutsch-Indische Handelskammer und das Indisch-Deutsche Exportförderungsprojekt (IGEP) haben zwar ein paar Hundert Anfragen erhalten. Doch Schlange stehen die indischen IT-Fachleute vor den Visastellen nicht. IGEP-Direktor Dr. Dietrich Kebschull hofft, dass die Green Card im Zeitalter der Informationstechnologie den Weg ebnen hilft für eine dauerhafte und langfristige Zusammenarbeit zwischen Indien und Deutschland.

Lesen Sie bitte auch:

  1. Der Ansturm der Inder bleibt wohl aus
  2. Merkel für Green-Card-Aktion
  3. Inder bei der CDU?
    vom 7.4.2000   (Politik)
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