HOCHSCHULE Dienstag, 26. Oktober 1999


  Bayern Seite V2/22 / Deutschland Seite V2/22 / München Seite V2/22

Beifall von den Unis, Buhrufe von den Studenten

Nach einem Jahr im Amt hat Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) die Hochschulszene gespalten

Das positive Fazit der Ministerin überrascht ebenso wenig wie das negative ihres Gegenspielers. „Bildung und Forschung haben in Deutschland wieder Priorität“, sagt Edelgard Bulmahn nach einem Jahr an der Spitze des Bundesbildungs- und Forschungsministeriums. Mehr Geld für Hochschulen, Forschungsinstitute und sozial benachteiligte Studenten hält die SPD-Politikerin sich selbst und ihrer Regierung zugute, ebenso wie eine stärkere Förderung von Wissenschaftlerinnen oder innovativer Technologien und eine intensivere Debatte über die Zukunft des deutschen Bildungssystems insgesamt. All das, so Bulmahn zufrieden, zähle umso mehr, als man ein schweres Erbe von der Vorgänger-Regierung übernommen habe, die Bildung und Forschung sträflich vernachlässigt habe.

„Viel versprochen, wenig gehalten“, kontert Thomas Rachel, hochschulpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsopposition, und hält der Ministerin eine lange Negativliste entgegen: Unterm Strich schon jetzt wieder weniger Geld für Hochschulen und Forschung, keine Reform beim Bafög, keine neuen Ideen in der Forschungspolitik und schließlich ein Ministerium, das kaum noch Einfluss habe und vom Zukunftsministerium des Bulmahn-Vorgängers Jürgen Rüttgers meilenweit entfernt sei – das ist aus Sicht der Opposition die Bilanz. So weit, so vorhersehbar.

Doch auch jenseits der parteipolitischen Bewertungsrituale gehen die Urteile über die rot-grüne Bildungspolitik weit auseinander. Von den Hochschulen und den großen Wissenschaftsorganisationen erhält Bulmahn viel Beifall und Anerkennung. Die Studenten und die um ihre sozialen Belange bemühten Verbände sind dagegen von der SPD-Politikerin bitter enttäuscht. Lob und Kritik fallen gleichermaßen deutlich aus, für Zwischentöne bleibt kaum Platz. Ein Jahr nach ihrem von viel Vorschusslorbeeren begleiteten Amtsantritt hat die Ministerin die scientific communityin zwei Lager gespalten.

Engagiert und kompetent

Den Reigen der Zufriedenen eröffnen die Hochschulen. „Hochschulpolitik ist endlich wieder ein Thema für die Politik geworden“, befindet Josef Lange, Generalsekretär der Hochschulrektorenkonferenz. Die Universitäten und Fachhochschulen rechnen der Ministerin besonders hoch an, dass sie in ihrem ersten Jahr rund eine Milliarde Mark mehr für Bildung und Forschung ausgab als die alte Bundesregierung. Vor allem die Erhöhung der Bundesmittel für den dahinsiechenden Hochschulbau um 200 Millionen Mark auf jetzt zwei Milliarden Mark sei eine beachtliche Leistung. Die Reform des Professoren-Dienstrechts, die Bulmahn auf die politische Tagesordnung gesetzt hat, und die stärkere Förderung von Frauen in der Wissenschaft sind aus Sicht der Rektoren weitere Pluspunkte. Viel Lob schließlich für Bulmahn selbst: „Die Ministerin hat sich als außerordentlich engagiert und kompetent erwiesen“, sagt Josef Lange

Positiv fällt auch das Urteil des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) aus – wobei wie bei den Hochschulen zunächst der Blick auf das Geld die Bilanz bestimmt: „Während in der auswärtigen Kulturpolitik überall eingespart wird, hat das Bildungsministerium seine internationalen Programme sogar leicht ausgebaut“, konstatiert DAAD-Generalsekretär Christian Bode. Zwar habe bereits Bulmahn-Vorgänger Rüttgers bei der Internationalisierung der Hochschulen einiges auf den Weg gebracht, räumt Bode ein: „Doch das Thema hat im letzten Jahr zusätzlichen Schub gewonnen.“ So habe das Ministerium mit dem DAAD etwa neue Initiativen für Partnerschaften deutscher und überseeischer Hochschulen oder für Doppel-Diplome entwickelt.

Unwillig und unfähig

Den stärksten Beifall erhält die Bildungs- und Forschungsministerin von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Sie erhielt in diesem Jahr, wie vor der Wahl angekündigt, fünf Prozent mehr Geld. Neben den eigenen Finanzen hebt die größte deutsche Forschungsorganisation einen zweiten Punkt hervor: „Frau Bulmahn hat die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu einem ihrer wichtigsten Anliegen gemacht und damit genau den richtigen Akzent gesetzt“, lobt DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker. Sein Fazit: „Die Ministerin kann stolz sein auf ihre Leistungen.“

Das sehen die studentischen Organisationen ganz anders. Gerade sie, die besonders große Hoffnungen in die Sozialdemokratin Bulmahn gesetzt hatten, sind nach einem Jahr enttäuscht und lassen ihrem Unmut freien Luft. „Von ihren Versprechungen vor der Wahl hat Frau Bulmahn fast nichts eingelöst“, kritisiert Janne Klett-Drechsel vom Dachverband Freier Zusammenschluss von StudentInnenschaften. Auch die Juso-Hochschulgruppen und grüne Studentenorganisationen werfen der Ministerin in zwei Punkten Versagen und Wortbruch vor: Das angekündigte Verbot von Studiengebühren im neuen Hochschulrahmengesetz habe sie ebenso wenig zu Stande gebracht wie die versprochene Reform des Bafög. „Stattdessen hat es nur eine Pizza-Novelle gegeben, bei der jeder mit zwanzig Mark mehr abgespeist wurde“, schimpft Janne Klett-Drechsel. Für sie gilt auch unter der Ägide der SPD-Ministerin: „Die Politik ist unwillig und unfähig zur Hochschul- und Bafögreform.

Das unerledigte Thema Bafög bringt Edelgard Bulmahn auch heftige Kritik vom Deutschen Studentenwerk (DSW) ein. „Nach der Koalitionsvereinbarung schien alles klar: Bis Ende dieses Jahres sollten die Eckpunkte der Reform auf den Tisch“, erinnert DSW-Generalsekretär Dieter Schäferbarthold. Tatsächlich aber sei noch immer kein geschlossenes Konzept der Regierung zu erkennen. Schlimmer noch: Nach den jüngsten Äußerungen von Finanzminister Hans Eichel müsse man befürchten, dass die Bafög-Reform erst im übernächsten Jahr gemeinsam mit der Reform des Familienlastenausgleichs angegangen und 2002 in Kraft treten werde. „Hier hätten wir uns von der Ministerin mehr Mut zur Auseinandersetzung mit dem Finanzminister gewünscht“, kritisiert Schäferbarthold. Bis spätestens Februar müsse die Regierung einen fertigen Gesetzesentwurf vorlegen, fordert das DSW.

Dass inzwischen nur noch knapp 15 Prozent der Studenten aus den einkommensschwachen Familien kommen, erfüllt jedoch nicht nur die Bulmahn-Kritiker mit Sorge. Auch die Hochschulen und Organisationen, die der Ministerin Lob und Achtung zollen, sind sich in diesem Punkt mit Studenten und Studentenwerk einig und fordern eine durchgreifende Bafög-Reform: „Dieses Land kann es sich nicht leisten“, so HRK-Generalsekretär Josef Lange, „auf die Intelligenzreserven aus den sozial schwächeren Schichten zu verzichten.“ Gerade die sozialen Belange der Studenten dürften für die Sozialdemokratin Bulmahn also zum Prüfstein werden.

Marco Finetti

Ohne Pleiten und Pannen: Edelgard Bulmahn konnte bisher meist die generöse Geldgeberin spielen, die Studentenverbände sind trotzdem enttäuscht.

Foto: Ossenbrink


SZ - Hochschule 26.10.1999


SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
A009.373.516
   
1