Süddeutsche Zeitung HOCHSCHULE Dienstag, 28. September 1999


  Bayern Seite 16 / Deutschland Seite 16 / München Seite 16

Das Studium als Ladenhüter

Die Zahl der ausländischen Studenten steigt – doch auf dem globalen Bildungsmarkt hat Deutschland einen schlechten Stand

Marketing auf britisch: zweihundert deutsche Hochschulvertreter lauschen gebannt den Worten von Tony Blair. Überlebensgroß aus dem Laptop eines Referenten an die Wand des Bonner Wissenschaftszentrums gestrahlt, verkündet der britische Premier eine Kampagne zur Anwerbung von 75 000 zusätzlichen, voll zahlenden Auslandsstudenten. Die Zuhörer stammen zumeist aus den Akademischen Auslandsämtern, und diese antiquierte Bezeichnung lässt schon ahnen, wie weit der Weg zum globalen Wettbewerb um zahlende Kunden an Deutschlands Hochschulen noch ist.

Tony Blair seinerseits hat den Ort seines Londoner Auftritts wohl gewählt: die London School of Economics ist nicht nur seine eigene Alma Mater, sondern auch die wohl internationalste Universität in England, wenn man die Anteile der ausländischen Studierenden (61 Prozent), Lehrenden (39 Prozent) und der Studiengebühren am Gesamthaushalt (41 Prozent) zu Grunde legt. Insgesamt schätzt man die Exporterlöse, die sich aus Gebühren-Zahlungen und Lebenshaltungskosten ausländischer Studenten in Großbritannien ergeben, auf viereinhalb Milliarden Mark. In den USA sind es 14 Milliarden und in Australien, dem shooting-star des neuen Dienstleistungssektors, drei Milliarden Mark. Beneidenswert unbefangen verweist Blair denn auch auf die Erträge seiner Kampagne: viele Freunde des Vereinigten Königreichs unter den Nachwuchs-Eliten des Auslands, jährliche Mehreinnahmen von rund zwei Milliarden Mark – und tausende Arbeitsplätze an britischen Universitäten noch dazu.

Demgegenüber tut sich Deutschland, sonst eher stolz auf seine Exportführerschaft, schwer mit dem internationalen Bildungsmarkt. Bildung gilt vielen nach wie vor als nicht-tarifäres öffentliches Gut, was freilich oft auch das schlechte Gewissen gegenüber dem enttäuschten Kunden entlastet. Immerhin mehrt sich jetzt die Zahl der Hochschulen, die – teils in eigens dafür geschaffener privatrechtlicher Form – den Schritt „an die Börse“ wagen. Auch die Politik hat das Thema entdeckt, wenn auch noch nicht in seiner vollen Dimension erfasst: Am Jahresende werden sich die Regierungschefs von Bund und Ländern zum dritten Mal mit einem Bericht zur Attraktivität des Studienstandorts Deutschland befassen und sich vermutlich ohne große Debatte zufrieden zurücklehnen: In der Tat hat sich in den letzten Jahren unter dem Eindruck des verschärften Sparzwangs und der Globalisierung vieles verändert – und das meiste zum Besseren.

Sogar die Zahl der ausländischen Studierenden ist, allen Unkenrufen zum Trotz, spürbar gestiegen. Also alles in Ordnung? Ein genauerer Blick auf den internationalen Bildungsmarkt offenbart Schwächen, die wir uns auf Dauer nicht leisten können: Die letzte halbwegs verwertbare Unesco-Statistik aus dem Jahre 1995 zählt rund 1,5 Millionen internationale Studierende, davon ein Drittel in den USA, etwa die Hälfte in Europa. Fast die Hälfte der mobilen Studierenden kommt aus Asien. Zwei Drittel studieren auf einen ersten Bachelor-Abschluss hin, ein Drittel sind Graduierte, die Master-Kurse oder Weiterbildungsangebote nachfragen oder promovieren. Ein Drittel dieser Studierenden erhält irgendeine Form von Stipendien, die große Mehrheit studiert auf eigene Kosten.

Doktorarbeit auf Englisch

Von diesem Markt halten deutsche Hochschulen, rein statistisch gesehen, einen Anteil von rund zehn Prozent. Das ist – in absoluten Zahlen – Platz drei hinter den USA und Großbritannien. Relativiert wird dieser Befund freilich, wenn man das eine Drittel der sogenannten Bildungsinländer abzieht, also die hier auf Dauer lebende zweite oder dritte Ausländergeneration mit deutscher Muttersprache, aber fremdem Pass. Hinzu kommt, dass die in Deutschland üblichen langen Studienzeiten und hohen Abbrecher-Raten die Statistiken auch für Ausländer aufblähen: Die Zahl der ausländischen Absolventen liegt unter 10 000 im Jahr.

Dabei differieren die Zahlen nach Herkunftsländern beträchtlich: Während die Nachfrage aus Osteuropa und auch aus Afrika boomt, stagnieren die Zuströme aus den USA und traditionellen Partnern in Asien oder gehen gar zurück. Einige der wichtigsten Entsendeländer sind für deutsche Unis weiße Flecken geblieben, etwa Indien, Südostasien, Hongkong oder die Golfstaaten. Ernüchternd ist auch der Vergleich der Promotions-Quoten: Während in den USA im Schnitt jeder vierte, in Großbritannien sogar jeder dritte Doktorand Ausländer ist, kommt bei uns nur jeder fünfzehnte Promovend von außerhalb.

All dies zusammen ergibt ein Bild, das weder unseren wissenschaftlichen, wirtschaftlichen oder politischen Interessen, noch unseren Potentialen entspricht. Noch weniger entspricht es der Entwicklung des Marktes, der sich in den nächsten fünfzehn Jahren auf dann mehr als drei Millionen international mobiler Studierender verdoppeln wird. Die Forderung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), die Zahl der „echten“ Ausländer an deutschen Hochschulen binnen zehn Jahren auf rund 200 000 zu verdoppeln, bedeutet daher nicht mehr, als den gegenwärtigen Marktanteil zu halten. Aber selbst das wird nur mit neuen Strategien gelingen – vor allem mit kundengerechteren Angeboten und professioneller Vermarktung.

Analysiert man die Angebote der erfolgreichen Konkurrenten, so fallen zwei gemeinsame Eigenschaften ins Auge: Sie sind englischsprachig und gebühren-pflichtig. Die Sprache wird an unseren Hochschulen Deutsch bleiben, trotz der Erfolge der neuen englischsprachigen Studiengänge. Hier wäre schon viel gewonnen, wenn der Einstieg für fremdsprachige Studienanfänger erleichtert, der begleitende Deutschunterricht ebenso wie fachsprachliche Englischkurse (auch für Deutsche) ausgebaut und fremdsprachige Auslandssemester eingebaut würden. In der Graduierten-Ausbildung freilich wird ein Fachbereich, der die klügsten Köpfe der Welt anziehen will, Angebote auch in englischer Sprache machen und englischsprachige Dissertationen ermöglichen müssen. Dasselbe gilt für berufsbezogene Weiterbildungsstudien auf international konkurrenzfähigem Niveau.

Gebühren und Stipendien

In der Frage der Studiengebühren lehrt uns die Konkurrenz, dass ökonomische Anreize nicht nur das Geschäft beleben, sondern auch die Qualität heben, weil zahlende Kunden dies einfordern können. Nicht von ungefähr sind in gebührenpflichtigen Hochschulsystemen auch die Mechanismen der Leistungs- und Erfolgskontrolle am weitesten entwickelt. Solange es in Deutschland Gebühren nur für Kindergärten und nicht für Hochschulen gibt, sollten daher wenigstens die internationale Aktivität der Hochschulen bei der Evaluation und der staatlichen Mittelzuweisung angemessen berücksichtigt werden.

Im übrigen können auch jetzt schon für weiterbildende Studienangebote in Deutschland Gebühren erhoben werden und immer mehr Hochschulen haben damit begonnen, wenn auch in der Regel nicht auf kostendeckenden Niveau. Auch hier sollten wir von den besten Konkurrenten lernen: Entscheidend für die Zulassung zur Hochschule ist dort nicht die finanzielle, sondern allein die intellektuelle Leistungsfähigkeit der Kandidaten. Deshalb ist die zweite Botschaft von Tony Blair so wichtig: Zugleich mit der Anwerbekampagne wird die britische Regierung die Zahl ihrer Stipendien für ausländische Studenten um 50 Prozent erhöhen.

Christian Bode


Der Autor ist Generalsekretär des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Bonn.


SZ - Hochschule 28.09.1999


SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
A009.217.132
   
1