HOCHSCHULE Dienstag, 21. März 2000

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Selbstbewusst an die Spitze des Staates

Frankreichs Elite-Verwaltungsuniversität bietet ausländischen Studenten einen Master / Stipendien für Deutsche

Von Sven Böll

Seinen Magister hatte Andreas Löns bereits in der Tasche. Mit den Noten hätten dem Historiker alle Türen zu einer Promotion offen gestanden. Doch der 26 Jahre alte Tübinger wollte die Kurve in die Praxis bekommen, eine „Abwechslung zum wissenschaftlichen deutschen Unisystem“, sagt Löns. Vor allem suchte er nach Wegen, die ihm als Geisteswissenschaftler mehr Akzeptanz im juristenlastigen öffentlichen Dienst verschaffen würden.

Deshalb studiert Löns seit September an der französischen Ecole Nationale d’Administration (ENA). Die Elite-Universität bildet ihre jährlich rund 100 französischen Studenten für Laufbahnen im gehobenen Dienst aus. Wer jenseits des Rheins ein ENA-Prädikat vorweisen kann, dem winken die höchsten Staatsämter. Viele der Politiker – darunter Präsident Jacques Chirac und Premierminister Lionel Jospin – gehören zur exklusiven Kreis der „Enarchen“.

Die ENA ist seit ihrer Gründung1945 zwar um eine internationale Studentenschaft bemüht, und in den vergangenen Jahren haben hier über 2000 Ausländer aus mehr als 100 Ländern studiert. „Doch so international wie zurzeit waren wir noch nie“, sagt die Leiterin des Studiendienstes, Isabelle Saulnier-Combarnous. Das mag daran liegen, dass die ENA sich neuerdings aktiv bemüht, ein Drittel der 140 Studienplätze an Ausländer zu vergeben. Diese sind nun auch offiziell Schüler der ENA, zuvor hießen sie Elèves du cycle international.

Ein paar Unterschiede bleiben dennoch: Die Franzosen, die in der Regel nach einem dreijährigen Universitätsstudium an die Hochschule kommen, müssen zwei sechsmonatige Praktika absolvieren, die Ausländer nur drei Monate an einem der Verwaltungssitze (Präfekturen) der Departments. Den Ausländern verleiht die ENA außerdem neuerdings einen Master en Administration Publique, angelehnt an den angelsächsischen Master of Public Administration. Dafür müssen sie eine Hausarbeit schreiben, die etwa einen Monat Zeit kostet. Vor zwei Wochen haben die ersten Absolventen ihre Master-Urkunden entgegengenommen. „Der Mehraufwand, eine Magisterarbeit zu schreiben, lohnt sich“, ist Christian Esters überzeugt. Egal was man zuvor studiert habe, sagt der 28 Jahre alte Passauer Volkswirt und frischgebackene Enarche, sei das Studium wegen des breiten Angebots ein Gewinn.

Statt Fachidioten will die Hochschule Generalisten entlassen. „Wer sein Studienfach vertiefen will, ist hier falsch“, warnt Esters. Praxisnähe ist die andere Maxime der Ausbildung. So stehen in den acht Teilbereichen des Curriculums – darunter Verwaltungs- und Rechtsfragen, Analyse- und Entschidung im Wirtschaftsbereich sowie internationale Fragen – Übungen im Vordergrund. Zum Beispiel müssen die Studenten eine Vorlage erstellen, die den französischen Außenminister auf ein Gespräch mit dem UNO-Generalsekretär vorbereitet.

Die französischen ENA-Studenten verpflichten sich vor Studienbeginn zu einer mindestens zehnjährigen Tätigkeit im öffentlichen Dienst. Während ihres Studiums bekommen sie dafür aus dem Staatssäckel ein – für französische Verhältnisse üppiges – Monatssalär von umgerechnet 2700 bis 4000 Mark. Deutsche Studenten, die sich nur über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) bewerben können, erhalten seit mehreren Jahren ein Stipendium in Höhe von 3900 Mark im Monat – vorausgesetzt, sie bestehen das harte Auswahlverfahren, das der DAADin Zusammenarbeit mit der ENA ausrichtet: Schriftlicher Sprachtest, inklusive mehrseitigem Aufsatz, sowie ein Auswahlgespräch in Bonn.

Enarchen aller Länder

Chancen haben vor allem Juristen, Volks- und Betriebswirte sowie Politologen. Die Anzahl der jährlich vergebenen Plätze hängt laut DAAD von der Qualifikation aller ausländischen Bewerber weltweit ab, in der Regel werden hier zu Lande drei bis fünf Stipendien vergeben. Interessenten sollten sehr gut französisch sprechen und „ein selbstbewusstes Auftreten mitbringen“, sagt Stephan Geifes, Vorstandsreferent beim DAAD und selbst ENA-Absolvent.

Die französischen Jahrgangsbesten können sich die lukrativsten Posten im Staatsdienst aussuchen. Aber auch für deutsche Studenten kann die Kaderschmiede als Sprungbrett dienen. „Wer in den öffentlichen Dienst will, für den ist das die richtige Adresse“, sagt Johannes Ludewig, ehemaliger Top-Beamter und in den siebziger Jahren ENA-Student. Man bekomme einen sehr guten Einblick in die französischen Bildungs- und Verwaltungsstrukturen, so der Ex-Bahnchef. Die Enarchen seien auch häufig Ansprechpartner der französischen Politik, sagt Ludewig, „ideale Botschafter“ also. Joachim Bitterlich, deutscher Botschafter in Madrid, hat auch die ENA absolviert und ärgert sich, dass Deutschland nichts Ähnliches vorweisen kann. Denn trotz aller Vorbehalte gegen das französische System der Elitenbildung für den öffentlichen Dienst glaubt der Diplomat: „In diesem Punkt kann sich Deutschland eine Menge von Frankreich abschauen.“

 


Deutsche Interessenten müssen sich bis zum 30. November 2000 beim DAAD, Kennedyallee 50, 53175 Bonn bewerben. Nähere Auskünfte gibt auch die ENA, 1 rue Sainte-Marguerite, F-67080 Straßburg Cedex oder im Internet unter www.daad.de und www.ena.fr.

Das Aktenköfferchen gehört zur Ausstattung: Wer an der Ecole Nationale d’ Administration – hier die Zweigstelle in Straßburg – studiert, endet häufig im gehobenen öffentlichen Dienst.

Foto: F. Demange/Gamma/Studio X

 


ArtikelSZ - Hochschule 21.03.2000

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