Warum sollen Erstsemester
zu Hause bleiben,
Frau Förderreuther?

 

Das Abiturzeugnis hatte sie in der Tasche, einen Studienplatz am berühmten London College of Fashion hatte sie sich selbst
organisiert. Doch dann begann für Christina Förderreuther eine Odyssee auf der Suche nach einer Studienförderung. Weder
beim DAAD noch bei Stiftungen und Stipendien-Organisationen konnte man ihr helfen. Oliver Schilling fragte die
Fashion-Studentin, warum es Unterstützung für Auslandsaufenthalte nur dann gibt, wenn man bereits einige Semester in
Deutschland studiert hat.

SZ: Ihre Versuche, eine Förderung zu erhalten, sind allesamt fehl geschlagen – trotzdem studieren Sie jetzt in London.
Wie kommen Sie über die Runden?

Förderreuther: Nicht so einfach, da hier alles sehr teuer ist. Ich muss ja auch noch 2200 Mark Studiengebühren pro Jahr
bezahlen. Ich habe Glück, dass meine Eltern für mein Studium etwas Geld gespart haben, muss mir aber dringend noch einen
Job suchen. Weil das Studium in England sehr verschult ist, hat man allerdings wenig Zeit zum Jobben.

SZ: Ein Auslandsstudium ist also purer Luxus?

Förderreuther: Nein, es ist überhaupt kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Wenn man sich heute um einen Job bewirbt,
werden Englisch-Kenntnisse und Auslandserfahrungen ganz selbstverständlich vorausgesetzt.

SZ: Warum ist es Ihnen dann nicht gelungen, eine staatliche Studienförderung zu bekommen?

Förderreuther: Das Problem ist, dass sämtliche Förderprogramme nur dann greifen, wenn man schon einen Studienabschnitt
in Deutschland absolviert hat, in der Regel das Grundstudium. Erst dann kann man ein Erasmus-Stipendium oder andere
Förderungen bekommen. Fängt man direkt im Ausland mit dem Studium an, dann gibt es nirgendwo etwas. Das ist höchst
unfair.

SZ: Bevor Sie nach London gingen, haben Sie sich sogar beim Bundeskanzler beschwert. Wie hat er geantwortet?

Förderreuther: Seine Referentin argumentierte, dass man ja auch in Deutschland so ein Studium machen könne . . .

SZ: . . . und damit hat sie nicht Recht?

Förderreuther: Nein, denn es geht ja nicht nur um die fachlichen Vorteile, die es übrigens so nicht an deutschen Hochschulen
gibt, sondern auch um die interkulturelle Lernerfahrung, die ich im Ausland sammeln kann. Alle Politiker reden immer von
Globalisierung, Internationalisierung und einem vereinten Europa. Wenn es aber an die Umsetzung geht, machen sie einen
Rückzieher.

SZ: Warum musste es in Ihrem Fall unbedingt ein Studium in London sein?

Förderreuther: Die Schule in London ist eine der besten der Welt, und die Stadt gefällt mir sehr gut. Allerdings ist
es schon ein enormer Aufwand, sich direkt an einer Hochschule im Ausland zu bewerben. Diese Mühe werden nicht
viele auf sich nehmen. Theoretisch sollte jedoch jeder zumindest dazu die Möglichkeit haben – egal wie gut die
Eltern situiert sind. In der EU hat man das Recht auf freie Wahl des Arbeitsortes. Warum soll man dann nicht auch
ein Recht auf freie Wahl des Studienortes haben?

 

 

 

SZ - Hochschule
15.02.2000 1