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Keine Lizenz mehr zum TräumenMikrokosmos des Kulturbetriebs: Für das Goethe-Institut eröffnen die Sparzwänge auch die Chance auf Wandel

 

Von Thomas E. Schmidt

Germanentränen wären fast geflossen, als das Goethe-Institut im vergangenen Jahr einen vorgeschobenen Außenposten der Kultur in Reykjavik räumen mußte, so heiß und flüssig wie das Schmelzwasser des Vulkans Gr"msvötn, der zur selben Zeit Island in Nässe und Schlamm zu verwandeln drohte. Keine deutsche Kultur mehr am Polarkreis, bald auch nicht mehr in Brasilia, Lahore oder in Tampere. Ob Schließungen von deutschen Kulturvertretungen im Ausland das Bild der Bundesrepublik wirklich ankratzen? Das ist kaum zu bestätigen. Das Goethe-Institut war nicht zusammengebrochen unter den kleinen Sparauflagen der vergangenen Jahre. Aber indem das Auswärtige Amt bis 2003 immerhin 7,4 Prozent seines Etats wird kürzen und damit auch die auswärtige Kulturarbeit wird bluten lassen müssen, hat sich die Situation verschärft.

Es ist ein Bundesfinanzminister von der SPD, der die Axt an Willy Brandts "drittes Bein" der Außenpolitik legt. Und diesmal wird es die bundesrepublikanischen Künste nicht mehr unberührt lassen, denn Goethe, mal ehrlich, war lange, lange Jahre auch so etwas wie das Reisebüro des Kulturbetriebs, von dem man sich gern zum Repräsentanten erklären, einladen und dann verschicken ließ.

Das wird wohl nicht mehr so sein. Projektmittel in Höhe von fast vier Millionen Mark fallen weg. Treffen wird es leider auch sinnvolle Kulturarbeit sowie Angebote für den Sprachunterricht, mal abgesehen von den deutschen Schulen im Ausland und vom Verschwinden von DAAD-Stipendien für Wissenschaftler. Noch etwas wird sich verändern: Die öffentliche Empörung läßt sich durch die PR-Arbeit des Goethe-Instituts nicht mehr steigern. Es reicht nicht mehr aus, die Reflexe der Mediendemokratie zu bedienen, um eigentlich doch so weitermachen zu können wie bisher. Eichels Sparpläne setzen im Umbau des Sozialstaates Prioritäten neu. Wer die Kürzungen im Kulturbetrieb beklagt, kann eine ungeschönte Verlustrechnung aufmachen, aber keine apokalyptischen Töne mehr anstimmen: Die Wiederholung ist die Todfeindin der Wut im Zeichen der Gratismoral.

Auch mit weniger Geld kann und muß eine sinnvolle Kulturarbeit im Ausland organisiert werden. Notgedrungen wird sie anders aussehen. Auf dem Spiel steht nicht das Goethe-Institut, sondern der Modus, in dem es sich all die Jahre öffentlich legitimierte - und durch seine Programmarbeit, die im wesentlichen einen Mikrokosmos des bundesdeutschen Kulturbetriebs abbildete, Autonomie sicherte.

Die Münchner Zentrale hat unterdessen in einem von grimmigem Humor gezeichneten kleinen Planspiel errechnet, was man in den kommenden fünf Jahren tun könnte, um die dräuenden 17,5 Millionen einzubringen: Beispielsweise könnte man sämtliche Institute in Italien schließen. Oder die drei Flaggschiffe in London, Paris und Rom versenken. Oder man könnte Afrika, den verlorenen Kontinent, nun auch kulturell endgültig sich selbst überlassen - Goethes Rückzug von Abidjan bis Yaoundé. Erfolgversprechender sind Versuche, die Kürzungslast auf andere Schultern zu verteilen. Schnell ist ohnehin nichts zu verändern, denn mit seinem festen Auslandsstellenplan schiebt Goethe eine zähe Mure an fixen Kosten vor sich her. Betriebsbedingte Kündigungen sind nur möglich, wenn ganze Institute oder Bereiche schließen.

Hilmar Hoffmann hat inzwischen eine Fusion mit InterNationes vorgeschlagen, was diese für Außen-PR verantwortliche Institution gar nicht gut findet. Auslandsschulen und DAAD sollen mit weniger auskommen, dafür will Goethe den Sprachunterricht im Ausland effizienter gestalten, Stellen insbesondere im überversorgten Bereich der GUS-Staaten streichen. Außerdem sollen bauliche Maßnahmen zur Renovierung von Instituten im Ausland aufgeschoben werden, ebenso der Ausbau von Johannesburg, Tallinn, Taschkent oder Johannesburg; auf Neugründungen wie Havanna oder Posen werde verzichtet.

Das ist alles richtig und notwendig, aber auch die Programmarbeit, also die Präsentation deutscher Kultur im Ausland, bedarf einer Überprüfung und Neubewertung. Und zwar weniger in Krakau oder Guadalajara, wo Institutsdirektoren mit wenig Geld und viel Eigeninitiative mit den Kulturangeboten der Briten und Franzosen wetteifern. Sondern in den Metropolen, wo sich Geld und Medienaufmerksamkeit bündeln. Das Bild von Deutschland kann nicht mehr jener gesellschaftskritischen, gelegentlich auch utopischen Sicht entsprechen, die den Kulturbetrieb seit 30 Jahren charakterisiert, ein Verständnis vom Land, aus dem der Betrieb in erster Linie ein Ideal von sich zog, um es als Bild der Bundesrepublik auszugeben. Das Goethe-Institut - und das ist Generationenprivileg und -schicksal seiner Verantwortlichen gleichermaßen - hat die Selbststilisierungen des Kulturbetriebes willig übernommen: Immer sollte die bessere Republik repräsentiert werden.

Dem Institut war daran gelegen, ein von politischen und wirtschaftlichen Interessen gesäubertes Bild von Deutschland zu zeigen. Das bessere Deutschland hatte sich nach dem Scheitern der Brandtschen Reformen, spätestens aber in der Ära Kohl in die Künste zurückgezogen und beanspruchte die Lizenz zum Träumen. Interessiert das noch jemanden? Interessiert noch jemand die Bundesrepublik-Version der Regietheatergrößen und Großschriftsteller? Stephan Wackwitz hat vor zwei Jahren in seinem Roman "Walkers Gleichung" das Geschwätz der Kultur-Buddies und ihrer Groupies auf Auslandseinsatz parodiert. Damals klang das schon wie der fortlaufende innere Monolog des schlechten Goethe-Gewissens.

Die Bundesrepublik der alten Kulturschaffenden verschwindet rapide. Überhaupt macht sich jeder interessierte Ausländer auf dem Daten-Highway lieber sein eigenes Bild von Deutschland. Boris Becker nimmt in diesem Bild den Vordergrund ein, nicht Peter Stein. Die Goethe-Institute haben kein Monopol mehr, das "richtige" Bild von der Bundesrepublik im Ausland zu zeigen. Ihre Funktion kann nicht mehr Informationsvermittlung sein, sie müssen vor Ort Kontakte stiften.

Auch müßte konsequenterweise ein neuer Kanon für sie definiert werden, weniger Spiel, Musik und Tanz, mehr Medien, mehr reales Leben, das heute von Technik und Wirtschaft bestimmt ist. Was die Rolle des Goethe-Instituts innerhalb der auswärtigen Politik sein sollte, darüber wäre in den kommenden Monaten also noch einmal nachzudenken.

Das Goethe-Institut im Netz:

http://www.goethe.de/

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