DER STANDARD Dienstag/Mittwoch, 7./ 8. Dezember 1999, Seite 17
Kultur
Der Goethe-Institut-Präsident über harte Zeiten
Der Schatzgräber
20 Jahre lang verwaltete er die Kulturgeschicke von Frankfurt am Main. Heute, wo die Etats in den Keller rasseln, rät Hilmar Hoffmann zur listigen Geld-beschaffung. Von Ronald Pohl.
Wien - Heute schätzt man Frankfurt am Main für den Glasglanz seiner großindustriellen Befehlsstände, für die Notierungen seiner Börse, für das Überfließen seiner Kapitalströme. Kaum jemand wird heute auf die Idee kommen, Frankfurt für den Glanz seines kommunalen Kulturbetriebes ausdrücklich zu loben. Man wird vielleicht noch das Städel-Museum aufsuchen oder dem Goethe-Geburtshaus den Ehrfurchtsbesuch abstatten.
Hilmar Hoffmann, der immerhin 20 Jahre lang, von 1970 bis 1990, Frankfurts Kulturgeschicke exemplarisch führte, kann für sich heute zwischen der Genugtuung wählen, aus Frankfurt gemacht zu haben, was es heute nicht mehr ist, oder bedauern, dass Frankfurt nicht mehr ist, wozu er es gemacht hatte.
Hoffmann zählt heute 74 Jahre und präsidiert seit 1993 das krisengeschüttelte Goethe-Institut in München. Er verlieh dem Begriff "Kultur-Dezernent" einen ungeahnten Glanz. Er setzte durch, dass die Main-hessische Bürgerschaft ihr Selbstbild wesentlich aus ihrem kulturellen Reichtum bezog: einer chimärischen Größe, die Hoffmann mit Etatzahlen fleißig unterfütterte.
Nie war die Beziehung zwischen symbolischen Werten und budgetären Beträgen glücklicher als in den 20 Jahren Hoffmanns. Auf knapp 12 Prozent des Gesamthaushalts schraubte der Schöngeist seinen Kulturetat. 490 Millionen D-Mark flossen in seiner Amtszeit in Kulturvorhaben.
"Kultur für alle" lautete die schöne Devise der fetten Jahre der Prosperität. Deutsche Kommunen haben ihre Kulturbudgets heute auf einen Durchschnittswert von 3,5 Prozent des Gesamtaufkommens heruntergefahren. Kultur-Dezernenten sind heute die tragischen Figuren im politischen Kommunaltheater. Sie tun Schlimmes, um weitaus Schlimmeres zu verhüten. Sie tragen politisch mit, wovor ihnen grauen muss. Hoffmann, der eben seine Memoiren Ihr naht Euch wieder, schwankende Gestalten veröffentlicht hat, weiß, wovon er heute redet: "Ich bin immer ein Begründer gewesen, und jetzt bin ich zum Liquidator geworden." Ist er nicht. Zwar haben deutsche Sparbeschlüsse dazu geführt, in elf internationalen Niederlassungen des Goethe-Institutes das Licht auszuknipsen. Doch insgesamt 25 hätten es sein sollen. Genua - gerettet. Ebenso Palermo. Und Orlando. Wieder andere Filialen werden neu aufgesperrt.
Penible Rechnung
Professor Hoffmann rechnet penibel vor: Wenn ich in einem Institut wie dem Pariser nur 120.000 D-Mark für Sonderprojekte habe, muss ich eben die Wirtschaft ködern. Ohne Sponsoring geht nichts mehr. Eigentlich hätte er aufgegeben. Doch seine Angestellten möbelten ihn auf: Ein Kapitän geht nicht von Bord, bloß weil die See rau ist. Dabei ist dem geborenen Bremer nicht alles gleich: "Die Melancholie hat bei mir schon 1991 eingesetzt, als meine Nachfolgerin 90 Millionen geopfert hat für das Startprogramm. Ein überproportionaler Aderlass. Dann wurde die letzte Perle des Frankfurter Museumsufers, das Völkerkundemuseum, nicht gebaut." Ein Jahr nur hätte er länger im Amt bleiben sollen. "Es mangelt heute an der finanziellen Absicherung kultureller Überlegungen - eine Klimafrage. Früher gewann ein Oberbürgermeister mit Kulturpolitik die Wahlen!" Die Zeichen der Zeit habe ausgerechnet der pechschwarze Ministerpräsident von Bayern verstanden. Drei Milliarden D-Mark habe der durch Liegenschaftsverkäufe für einen Museumsbau bereitgestellt. Es sei eben nicht mehr die Zeit für Berührungsängste. 2000 stünden die fälligen Entschädigungszahlungen an die Zwangsarbeiter der NS-Zeit an: "Die Firmen werden sich daraus Alibis zurechtzimmern, um nichts mehr zu sponsern." Dabei, schwelgt Hoffmann, wäre so viel totes Geld anzuzapfen. "In Banktresoren schlummern 5 Billionen Mark. Jeden Tag wachsen die Zinsen, und die Leute habe deswegen Angst, etwas zu stiften, weil sie Angst haben, dass das Finanzamt fragt: Warum haben sie's nicht versteuert?" Es bleibt noch viel zu tun.