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Es wird nicht gestaltet, es wird verwaltet

Hilmar Hoffmann im Gespräch über die Krise der Kulturpolitik, das Hauptstadt-Phantom und über die Zukunft des Goethe-Instituts

Sein Name verbindet sich mit den großen Jahren der Kulturpolitik, denen manche nachtrauern wie einem verlorenen Paradies. Heute ist Hilmar Hoffmann, zwischen 1970 und 1990 Frankfurter Kulturdezernent, als Präsident des Goethe-Instituts selbst in den Strudel der Kürzungen geraten. Mit Hoffmann sprachen Peter Körte und Harry Nutt.

Sie haben kürzlich vom "Ende jeder Kulturpolitik" gesprochen und als positive Gegenbeispiele ausgerechnet zwei Damen genannt, die von ihrem Amt zurückgetreten sind...

...man hat dabei einige Ausnahme-Namen weggelassen. Nachdem die beiden Kolleginnen gesehen haben, dass sie nichts mehr bewegen können und in ihrem Amt überflüssig sind, haben sie sich entschlossen zu gehen. Andere Nichtbeweger kleben so fest an ihrem Sessel, weil sie nichts anderes gelernt haben als Verwalten. Deswegen schlucken sie fast alles. Das regt mich auf. Deswegen habe ich die couragierten Zurückgetretenen gelobt.

Strukturell ist es ja tatsächlich schwierig geworden, Kulturpolitik zu betreiben. Was heißt da für Sie genau "Ende jeder Kulturpolitik" ?

Kulturpolitik bedeutet für mich etwas in die Zukunft Gerichtetes. Politik wird ja mit Blick auf Veränderungen gedacht. Und in der Kulturpolitik ändert sich derzeit nichts, außer dass man fragt: Wo können wir sparen, was können wir dicht machen, anstatt neue Strukturen zu bedenken oder zu überlegen: Was hat sich überlebt, wo gibt es Felder, die noch zu beackern sind? Die Utopie der Kulturpolitik, die Hermann Glaser und mir immer vorgeschwebt hat, die haben wir auch umzusetzen versucht. Denn die Utopie liegt nicht an einem anderen Ort und nicht in einer fernen Zeit, ihre Zeit ist jetzt, und ihr Ort ist hier.

Mit der Utopie haben Sie nicht nur Strukturen durchgesetzt, sondern auch bestimmte Kunstrichtungen. Wenn man das auf eine Formel bringen wollte, dann waren es vor allem Künstler, die im politisch-emanzipativen Bereich tätig waren, von Fassbinder bis Beuys. War es für einen Kulturpolitiker, der mit diesen Künstlern gearbeitet hat, nicht einfacher, diesen Kulturbegriff durchzusetzen?

Das ist sicher richtig, das hat mit der Zeitgeschichte nach 1945 zu tun. Die ersten 20 Jahre war ja eine Zeit der großen Umbrüche. Ich kann am das am besten am Beispiel Film darstellen. Die Nazi-Ästhetik hat uns noch verfolgt bis in die 60er Jahre hinein und schließlich zum Oberhausener Manifest geführt: "Opas Kino ist tot." Es musste ein Zeichen gesetzt werden. Und dann haben wir in Oberhausen die "Lesebühne" erfunden und all jene Autoren bekannt gemacht, die im Nazireich verboten waren. Damals hatte man noch das Gefühl, man kann etwas bewirken.

Heute sieht Kulturpolitik wie ein schwieriger Balanceakt aus. Nennen sie uns den Politiker, der noch eine programmatische Kunstrichtung durchsetzen wollte.

Das war ja mein genereller Vorwurf. Dieses Nachdenken findet deshalb kaum mehr statt, weil es keine Mittel gibt, Utopien zu realisieren. Man muss aber gerechterweise sagen: Der investive Nachholbedarf ist weitgehend befriedigt. Wir haben in Frankfurt in kurzer Frist 12 Museen, zahlreiche Bürgerhäuser und Stadtteilbibliotheken gebaut. Da muss nicht mehr nachgeholt werden. Um die materielle Infrastruktur muss nicht mehr gekämpft werden.

"Kultur für alle" ist also keine Utopie mehr, sondern längst verwirklicht?

Nein, das ist ja der große Irrtum. "Kultur für alle" ist keine rückwärts gewandte, nostalgische Formel, es ist ein Zukunftsprogramm, denn es wurde noch lange nicht erreicht, dass alle Menschen, die mit ihren Steuermitteln für die Museen und Theater aufkommen, auch dorthin gehen möchten.

Heute liefert das Fernsehen auf seine Weise "Kultur für alle", und die Kulturpolitik hat damit eine massive Konkurrenz erhalten.

Zu meiner Zeit war die Konkurrenz natürlich so massiv noch nicht da. Damals hat man aber auch Maßstäbe gesetzt. Eine Opernaufführung aus Coburg oder Hof ließ sich im Fernsehen nicht vermarkten. Da hat man Aufführungen aus München oder Berlin gezeigt. Viele Leute in den kleinen Städten hat deren Qualität davon abgehalten, noch in ihre örtlichen Opern oder Theater zu gehen, weil sie neue Hörmaßstäbe gewonnen haben. Nun ist das Fernsehen ein rezeptives Medium, in einem Museum gibt es eine ganz andere diskursive Ebene. Da sich jetzt auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten, die ja immerhin von unseren Gebühren leben, dem allgemeinen Trend zum Seichten anpassen, wäre es eine Herausforderung für die Kulturpolitik, Gegenentwicklungen anzudenken und umzusetzen. Wie das geschehen soll, darauf weiß ich auch keine Antwort. Wenn wir aber nun schon mit Michael Naumann einen Kulturstaatsminister haben, der könnte doch Künstler, Philosophen um sich versammeln und deren Rat einholen. Nur so geht es. Auch Naumann muss ja ein breites Spektrum der Meinungen filtern.

Bei Naumann hat man den Eindruck, dass er vor allem Institutsleiter, Ausschussmitglieder, Funktionäre also um sich versammeln muss. Zeigt sich nach eindreiviertel Jahren Kulturstaatsminister nicht das Problem, dass man ein Amt installiert hat, das sich in der Feinabstimmung erst definieren muss?

Dafür muss man Naumann Zeit geben. Er ist einer, der weit herausragt aus diesem politischen Mittelfeld. Er repräsentiert wie bisher keiner an der Spitze die Kultur, auch aus eigener Substanz. Wie dieser Fundus einer Person jetzt kapitalisiert wird, das ist eine Frage ins Ungewisse.

Seit Einführung des Amtes sind auch Rückkoppelungseffekte eingetreten, es hat Reibungspunkte mit der Kulturpolitik in Ländern und Kommunen gegeben, an die man bei der Installierung des Amtes gar nicht gedacht hat.

Weil es sich um einen Staatsminister handelt. Und unter dieses Rubrum wird fälschlicherweise immer subsumiert, dass es nur um die oberste Ebene gehe, um Hauptstadtkultur, die ich als Phantom bezeichne. Es gibt keine Hauptstadtkultur. Es gibt Kultur in der Hauptstadt. Zur Summe dessen, was wir als Goethe-Institut im Ausland präsentieren, gehört auch, was in der so genannten Provinz passiert. Es ist eine falsche Prämisse, immer nur an die so genannte Staatskultur zu denken. Es wird immer gesagt, die Kulturhoheit der Länder dürfe nicht angetastet werden. Diese Kulturhoheit ist doch insofern ein Phantom, als sie nichts anderes ist als die Hoheit über Universitäten und Schulen. Kulturpolitik per definitionem findet in den Ländern kaum statt. Man kann Minister oder Dezernenten am besten daran messen, wie gut die Institute in den einzelnen Städten sind. Und die sind so gut wie die Leiter, die man geholt hat. In Frankfurt gibt es ein paar Museen, bei denen ein Wechsel in der Leitung der Kultur gut täte.

Naumann hat nun auch das Problem, dass ihm, sobald er gestalten will, Mangel an Föderalismus vorgeworfen wird. Vor allem aus Bayern.

Zehetmaier, auf den Sie anspielen, spricht ja in diesem Kontext Berlin weniger für Bayern als für die Münchner Kultur. Darum ging es schon in den Roaring Twenties: Wer ist die heimliche Kulturhauptstadt? Die jeweilige Bevölkerung hat von dieser Spannung München-Berlin profitiert. Zwischen Frankfurt und Köln war es ähnlich. Die Städtekonkurrenz bleibt sehr wichtig, weil sie letztlich den Menschen zugute kommt. Der Staatsminister ist zwar nicht für Länder und Kommunen zuständig, gleichwohl kann ein Mann seines Formats intellektuelle Impulse geben, damit auch in den Kommunen über eine neue Kulturpolitik nachgedacht und über einen neuen Kulturbegriff gestritten wird.

Wo wird denn an diesem neuen Kulturbegriff gearbeitet, wo sind die definitorischen Kräfte?

Das kann nur in Brainstormings passieren und nicht allein im nach wie vor wichtigen Kulturausschuss des Deutschen Städtetages. Früher war ein Stadtverordneter in Frankfurt noch stolz, mit elf Prozent den höchsten Kulturetat aller deutschen Städte zu haben. Fragen Sie mal heute nach, da ist man stolz, wie viel man gespart und gestrichen hat. Trotzdem findet Kulturpolitik noch statt, in den einzelnen Instituten. Deren kreativen Köpfe muss man einladen und fragen: Was brauchen wir für die nächsten zehn Jahre an Veränderungen, damit nicht verwaltet, sondern gestaltet wird? Und es wäre auch gut, wenn man nicht mehr jeden Museumsleiter zum Beamten machte, sondern ein Intendantenmodell einführte, bei dem die Stadt nach fünf Jahren entscheiden kann, ob sie den Vertrag verlängert oder nicht.

Welche Fähigkeiten müsste denn ein Kulturpolitiker heute haben, der Wege aus der Krise finden könnte?

Ich habe viele Anregungen aus den Instituten bekommen, die ich auch versucht habe umzusetzen, es ist ja nicht alles auf dem eigenen Mist gewachsen. Man muss ein Gefühl dafür entwickeln, was der Bevölkerung für ihre Lebensinteressen wichtig ist. Grundsätzlich sollte ein Dezernent selber mal in der Kulturarbeit tätig gewesen sein, ein Institut geleitet oder eine Fakultas haben, die nicht gerade Physik oder Jura heißt.

Braucht man nicht auch Qualitäten als Fundraiser?

Das ist eine Balance, die herzustellen ist. Viele Städte wollen jetzt nur noch Fundraiser an den Institutsspitzen, also Manager. Das funktioniert aber nur dann, wenn der Betreffende unterhalb der Direkorenstelle genügend kompetente Kräfte hat, die das Inhaltliche autonom gestalten können.

Sie waren ja schon immer ein "Geldsammler", auch als die kommunalen Kassen noch gut gefüllt waren...

...und es hat mir Spaß gemacht, es war ja kein Tort, mit den Mächtigen der Wirtschaft zu diskutieren. Und wenn Sie mal in einer Vorstandsetage drin sind, gehen sie selten ohne einen Pfennig wieder raus.

Als Präsident des Goethe-Instituts sind Sie nun auch Kapitän eines größeren Tankers, der ziemlich havariegefährdet ist.

Jemand, der in seinem Berufsleben nur Kulturinstitute aufgebaut hat, möchte natürlich am Ende seiner Karriere nicht als Konkursverwalter dastehen, aber das wird auch nicht meine Rolle beim Goethe-Institut sein. Im Gegenteil, trotz aller aktuellen Schwierigkeiten ist die Arbeit für Goethe im wesentlichen konstruktiv und macht mir Freude.

Gibt es einen konkreten Stand der Verhandlungen mit Inter Nationes?

Ja, man kann vernünftige Ergebnisse den beiden Mitgliederversammlungen im Juli präsentieren. Und da kann es vielleicht hart zugehen, weil Inter Nationes sich "nicht schlucken lassen" will und weil die Goethe-Mitgliederversammlung keine Veranlassung sieht, sich aufzulösen, wie der Vorschlag von Inter Nationes lautet, um dann ein ganz neues Institut zu gründen. Ein weiteres Problem ist: Was passiert mit der Fusionsrendite, die ich auf zehn Millionen Mark schätze? Kassiert die jetzt Hans Eichel? Oder können wir die für Projekte ausgeben?

Und wie stehen die Signale im Außenministerium für Goethes Zukunft?

Mein Verhältnis zu Joschka Fischer ist ja ein freundschaftliches, aber das hilft leider nicht viel. Gleichwohl müsste die Bundesregierung deutlich Prioritäten setzen. Sie müsste bestimmte Dinge ganz aufgeben oder deutlich zurückfahren, um mit den frei werdenden Geldern zu finanzieren, was politisch aktuell sinnvoll erscheint. Derzeit müssen wir unsere knappen Ressourcen anknabbern, wenn wir in Sarajevo ein Institut eröffnen oder in Teheran und auf Kuba neue Institute eröffnen wollen. Das sind jeweils auch Desiderate der Politik, die dann aber erklären müsste: Weil es sich um eine zusätzliche neue Aufgabe handelt, stellen wir auch zusätzliche Mittel zur Verfügung, damit das keine Klitsche wird.

 

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2000
Dokument erstellt am 20.06.2000 um 21:03:28 Uhr
Erscheinungsdatum 21.06.2000

 

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