FEUILLETON Donnerstag, 18. November 1999

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Zu früh gefreut?

Trotz regionaler Initiative: Die Zukunft derGoethe-Institute in Italien bleibt unsicher

Auf den ersten Blick herrscht in den deutsch-italienischen Kulturbeziehungen eitel Sonnenschein. Politische Probleme, wenn man einmal von der Rückführung der so genannten Beutekunst absieht, gibt es nicht. Mit dem Kulturabkommen von 1956 wird der Austausch zwischen beiden Ländern von staatlicher Seite gefördert – wenn auch nicht so stark wie in Deutschland nach einem ähnlichen Abkommen mit Frankreich. Den Export italienischer Lebensart merkt man in deutschen Stadtbildern. Und ungebrochen scheint trotz der Sprachbarriere das Interesse deutscher Urlauber und Bildungsreisender an den Kulturschätzen in dem Land, in dem nach Goethe „die Myrte still und hoch der Lorbeer steht.“ 38 Deutsch-Italienische Gesellschaften bieten in verschiedensten deutschen Städten neben sieben italienischen Kulturinstituten ein teilweise intensives Kulturprogramm. Umgekehrt arbeiten 24 deutsch-italienische Kulturvereine und siebenGoethe-Institute in Italien.

Doch in Italien macht sich Unbehagen breit. Gian Enrico Rusconi, Ordinarius für Politologie aus Turin, der seit langem die Zusammenarbeit mit deutschen Wissenschaftlern pflegt, entdeckt Müdigkeit und Desinteresse vor allem bei den deutschen offiziellen Stellen. Und es herrscht Unsicherheit, sogar Angst, seitdem man in Italien den Eindruck hat, deutsche Kulturpolitik werde weniger von den Ideen der Programmveranstalter als vom Rotstift der Buchhalter bestimmt. Die deutsch-italienische Gemeinschaftseinrichtung Villa Vigoni arbeitet zur Zeit an dem ehrgeizigen „Progetto Italia-Germania“, einer Bestandsaufnahme der Kulturbeziehungen seit 1945. Schwierig erweist sich dabei die Zusammenarbeit mit den deutsch-italienischen Kulturvereinen im Land, die kaum Unterlagen liefern, schon gar keine Finanzauskünfte geben. Zu groß ist wohl die Angst, die wenigen Zuschüsse, die Berlin ihnen noch zubilligt, auch noch zu verlieren. Systematisch wird in Italien deutsche Kulturpräsenz abgebaut. Das bekommen auch die deutschen Schulen zu spüren, denen trotz steigender Schülerzahlen immer weniger Lehrer vermittelt und Zuschüsse gestrichen werden.

Der Umgang mit den Goethe-Instituten scheint beispielhaft für ein von „Krämerseelen beherrschtes Klima“ (Rusconi). Seit Jahren versucht die MünchenerGoethe-Zentrale ein Institutin Italien zu schließen und wundert sich jedes Mal über den Sturm der Entrüstung, den diese Entscheidung prompt hervorruft – in Neapel, Palermo oder Triest. Dieses Jahr steht das alte Spiel in Genua und Turin auf dem Programm.

Es gibt offensichtlich in Italien, anders als in anderen Ländern, in denen der Protest über Schließungen kaum vernehmbar war, ein öffentliches Bedürfnis an Kultur – auch an deutscher. So werden immer neue Ideen entwickelt, um Gelder für Kulturarbeit zu finden. Die Kulturministerin Giovanna Melandri und ihr Vorgänger Walter Veltroni haben trotz rigoroser Sparauflagen ihren Haushalt vervielfacht, indem sie Lottogelder nutzten, privat-öffentliche Einrichtungen schufen oder einfach den staatlichen Kulturinstitutionen finanzielle Autonomie gaben. Auch regional wird in Italien in Kultur investiert – und das verspricht durchaus Gewinn. Auch deshalb ist die Enttäuschung groß über die Strategie der deutschen Kulturpolitik – Mittelkürzungen und Institutsschließungen: Mit markigen Worten würden die Deutschen zur Durchsetzung ihrer Sprache als EU-Amtssprache pochen, doch dafür, dass diese Sprache in den Mitgliedsländern auch verstanden würde, täten sie immer weniger.

Die Ideen zur Rettung der Goethe-Institute Genua und Turin sind dann auch im Zusammenspiel der beiden kämpferischen Institutsleiter und den örtlichen Stellen entwickelt worden. In beiden Städten wird dem Institutjetzt ein auf mehrere Jahre verbindlicher Zuschuss von den italienischen Behörden zugesagt (rund 140 000 Mark). Dazu kommen Vernetzungen mit lokalen Einrichtungen – zum Beispiel in Genua mit den städtischen Bibliotheken. In Turin soll Goetherechtzeitig zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele 2006 zusammen mit den Kulturinstituten Frankreichs, Großbritanniens und Spaniens in ein „Haus der europäischen Kultur“ ziehen und die Gemeinschaftseinrichtungen nutzen. In beiden Städten, die den Abbau von großen Industrieunternehmen mit den entsprechenden sozialen Folgen verkraften müssen, ist die Kultur- und Bildungspolitik deutlich gleichberechtigt neben einer Politik zur Stärkung des wirtschaftlichen Standortes gerückt.

Alle italienischen Institute selber tragen durch zum Teil schmerzliche Stellenkürzungen zu weiteren Einsparungen bei. Am meisten müssen aber die von der Schließung bedrohten Institute bluten. In Genua wird zum Beispiel die Sprachabteilung privatisiert und einer Kooperative übertragen. Allerdings geht die Goethe-Zentrale bei der Streichung von BAT-Stellen mit den bis jetzt fest angestellten Lehrern ungewohnt rabiat um. Durch die Nutzung eines so genannten Katastrophenparagraphen, der eigentlich zur Zwangsschließung bei Naturkatastrophen und politischen Unruhen geschaffen worden war, werden eigentlich unkündbare Angestellte ohne Sozialplan auf die Straße gesetzt. Beim Arbeitsgericht München stehen deshalb mehrere Verfahrensklagen an.

Doch die Erleichterung, dass „ihre“ beiden Institute überlebt haben könnten, überwiegt in Genua und Turin. Wobei eine gewisse Skepsis gegenüber den Deutschen bleibt, die zum Beispiel die Goethe-Einrichtungen in Triest und Palermo so ausgehöhlt haben, dass von ihnen kaum mehr übrig geblieben ist als eine Entsandtenstelle und ein Messingschild an der Tür. Wird Goethebald zu einem virtuellen Institut, per Internet und E–Mail von München und wenigen Ländervertretungen aus gesteuert? Dabei lebt Kulturarbeit von persönlichen Kontakten an Ort und Stelle – immer noch sind alle möglichen Ressentiments nicht endgültig abgebaut. „Deutsche und Italiener“, schreibt Gian Enrico Rusconi, „hegennoch immer ein tief sitzendes Misstrauen gegeneinander, dessen Ursprünge in den unglücklichen, sogar tragischen historischen Erfahrungen zu suchen sind.“

Am 24. November berät das Goethe-Präsidium in München über neue Schließungen. Offiziell sind die Beschlüsse bezüglich Genua und Turin – wobei der für Turin zunächst für ein halbes Jahr ausgesetzt wurde – noch gar nicht zurückgenommen worden. Hat man sich in Italien zu früh gefreut?

HENNING KLÜVER

 


SZ - Feuilleton 18.11.1999

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