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Requiem in Pink

Goethes neue Wege - am Beispiel des Londoner Instituts

Von Martina Meister

Was wurde geredet und geschrieben in den letzten Jahren. Vom Staub, der sich auf den Schreibtischen der Mitarbeiter der Goethe-Institute aufschichtet, von ihrer hoffnungslosen Überalterung, von der Sinnkrise, von alten und neuen Kulturbegriffen, wobei letztere zu bestimmen, niemand so recht gelingen wollte, nicht einmal Joschka Fischer, der plötzlich die missionarische Funktion auswärtiger Kulturpolitik entdeckte. Immerhin schaffte man es auszurechnen, was diese "auswärtige Kultur", auch wenn man keinen Begriff mehr von ihr hatte, den Steuerzahler kostet. Also war vom Sparzwang die Rede, wieder und wieder, und wer hört das schon gern und hört da noch hin? Knapp 27 Millionen Mark, so sieht es der Plan von Finanzminister Hans Eichel vor, müssen die Goethe-Institute bis 2003 einsparen. Schon jetzt darf man die Liste der Häuser, die seit 1990 geschlossen wurden, als Stationen eines geordneten Rückzugs lesen: Florenz, Kabul, Kathmandu, Medellin und Seattle, in jüngster Zeit Chania und Patras.

Seit dem Mauerfall wurden 38 Institute geschlossen, im Gegenzug wurden 19 eröffnet. Aber manchmal ist selbst Mathematik Augenwischerei. Einige Häuser, die offiziell noch als Institut geführt werden, sind längst das, was man als eine "Antenne" bezeichnen darf. Nach der letzten Welle vor zwei Jahren, als mit heftigen Protesten auf die Schließung von sieben Instituten reagiert wurde, weiß auch Bundeskanzler Schröder, dass Einschnitte, die man sieht, politisch nicht opportun sind.

Eigentlich wäre ein Totentanz angesagt, ein deutsches Requiem auf eine deutsche Institution. Aber es ist alles andere als ein Totentanz, der in den Fenstern des Londoner Goethe-Instituts aufgeführt wird. Die schneeweiße Fassade der beiden Häuser des Princes Gate ist in pinkfarbenes Licht getaucht. Die Fenster leuchten Blau, und darin wirken die Tänzerinnen von der Central School of Ballet mit ihren schwarzen Trikots und Badeanzügen wie Kunst-und Synchronschwimmerinnen beim Wasserballett. In ihrem kleinen imaginären Aquarium bewegt sich jede zu ihrer eigenen, stummen Musik. Statt Totentanz viel eher schon ein "magic moment", den Gäste und Passanten staunend genießen.

"La vie en rose" also für das Goethe-Institut in London, das nach monatelanger Renovierung wiedereröffnet wurde, während die anderen Institute darben? Sicher nicht. Nur ein neuer Direktor und mit ihm der Wille zur Erneuerung und Öffnung. Mit der Installation des Berliner Lichtkünstlers Hans Peter Kuhn hat Ulrich Sacker, seit sechs Monaten Chef des Londoner Instituts bewiesen, dass es nicht immer des ganz großen Geldes bedarf, um Blicke und Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Mitunter genügt schon eine Idee.

Man darf zwar vermuten, dass nicht alle langjährigen "Goethianer", unter denen es angeblich keinen Akademiker unter 40 geben soll, mit diesem Kulturbegriff etwas anfangen können. Verdächtig nah am "Event" wird er manch einem nach diesem Eröffnungsabend vielleicht scheinen, bedauern werden sie womöglich auch, dass aus dem großen Ausstellungsraum ein Restaurant geworden ist, ein "Organic Cafe" mit Biokost, wo nicht mehr die Kunst, sondern die Menschen die Hauptrolle spielen, aber wo jeder, der ernsthaft schauen will, es auch kann und sich die Begegnung mit der Kunst für die anderen auch mal wie ein schöner Zufall ergeben kann.

8000 junge Menschen studieren und leben zum Teil in der unmittelbaren Umgebung des Londoner Instituts in Kensington. Etliche von ihnen werden das Goethe-Institut vermutlich erst durch das Restaurant entdecken. Nicht nur eine neue Klientel will Sacker durch die symbolische Öffnung des Hauses anziehen. Auch mit den umliegenden Museen der Exhibition Road will er enger zusammenarbeiten. Der Konzeptkünstler Hans Haacke hat den Anfang gemacht. Ein paar Wochen war er Gast im Institut, im unrenovierten Gästezimmer, weil das Geld für den Umbau des Hauses nur für das Parterre reichte, und hat einzelne Stücke aus der Sammlung des Victoria & Albert Museums in die Serpentine Gallery getragen. Die 200 fehlenden Objekte wiederum sind durch moderne Kunstwerke ersetzt worden. "Give and Take" heißt die Doppelausstellung, was kein schlechtes Motto für eine Institution ist, deren Charakterisierung sich immer wieder im Wörtchen "Kulturdialog" erschöpft.

Eine Sinnkrise der Goethe-Institute? "Nein", sagt Albert Spiegel, Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, "die hat es nicht gegeben". Eher ein riesiges Finanzierungsloch, verbunden mit neuen Aufgaben, die nach dem Fall der Mauer dazugekommen sind, und einem allgemeinen Legitimationsdruck. So kann man es auch sehen. Im Zuge des generellen Sparzwanges hat der neoliberale Diskurs längst auch die Kultur erreicht, vor allem diejenigen Institutionen, deren Arbeit wie die der Goethe-Institute lange Zeit völlig unbefragt geblieben ist. Nun aber hat das Controlling eingesetzt, das Kosten-Leistungs-Rechnungswesen, für das London eines der Pilotinstitute sein wird. Ein neues Konzept sollte her für die auswärtige Kulturpolitik und die Goethe-Institute, aber Joachim Sartorius, der jüngst ausgeschiedene Generalsekretär, der sich bei seinem Amtsantritt zwar vom "erweiterten Kulturbegriff" der 70-er Jahre, von der "ausfransenden Beliebigkeit" verabschieden wollte, hat das lang ersehnte Konzept genauso wenig geliefert wie es sein Nachfolger Felix Leonhardt wird liefern können.

Denn auch wenn Außenminister Fischer die deutsche Nationalstaatsbildung für abgeschlossen erklärt, hapert es noch ein wenig mit der Selbstfindung. Nur wird, während über deutsche Leitkultur gestritten wird, die händeringende Suche nach einem neuen Konzept auswärtiger Kulturpolitik immer absurder. Was ließe sich aus dem derzeitigem Debattenzirkus exportieren außer dem deutschen Problembewusstsein? Auch die Globalisierung und die damit einhergehende Tendenz zur Regionalisierung lässt die Kulturexporteure ratlos; nur die Optimisten unter ihnen bilden sich ein, daraus vor allem einen Vorteil ziehen zu können und frei nach dem Motto "more clicks, less bricks" die überkommenden Kulturinstitute in virtuelle "Deutschlandportale" zu verwandeln.

So recht geübt ist man auch noch nicht im Export des "cool Germany", das in den ersten, vagen Versuchen immer ein "cool Berlin" ist. Dabei war die Promotionsveranstaltung für die junge deutsche Literatur auf der Pariser Buchmesse ein echter Erfolg. Auch Sacker hat als Leiter des Hongkonger Goethe-Instituts gute Erfahrungen gemacht und plant für nächstes Jahr einen Kunstaustausch zwischen Berlin und London. Er versteht sich dabei aber vor allem als Vermittler, der Institutionen und Einrichtungen zusammen bringt, die ähnlich arbeiten. So plant beispielsweise der unvermeidliche Schlingensief ein Projekt mit der Agentur Artangel, und im "gallery swap" sollen 15 Galerien aus Berlin-Mitte ihre Arbeit in London zeigen, während sie im Gegenzug den englischen Gastgebern ihre Räume in Berlin überlassen. Angesichts des Enthusiasmus in London drängt sich das Gefühl auf, dass nicht nur die Budgets der Institute Opfer des allgemeine Downsizings geworden sind, sondern im selben Maße auch die Motivation der Goethe-Mitarbeiter. Von ihr aber, vom Engagement Einzelner, hängt mehr ab als von noch so wohlklingenden Konzepten.

Hilmar Hoffmann, der Goethe-Präsident, hat sich vorgenommen, bis zu seinem Abgang 30 Millionen Mark Spenden für eine Stiftung zusammenzubringen. Sechs hat er schon zusammen. Noch schöner aber wäre es, die Bundeskulturstiftung, deren Einrichtung Staatsminister Julian Nida-Rümelin nun vorantreibt, würde ihre Aufgabe nicht nur innerhalb Deutschlands sehen. Der Zufall will es, dass ein deutscher Künstler, der seit 15 Jahren in London lebt, beim Anblick der Lichtinstallation auf dem Londoner Goethe-Institut sagte, es sei einer der seltene Augenblicke gewesen, da er Stolz empfunden habe, ein "Deutscher zu sein". Von dem diskursiven Wespennest, in das er sich damit gesetzt hat, wusste er nichts.

 

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
Dokument erstellt am 03.04.2001 um 21:27:27 Uhr
Erscheinungsdatum 04.04.2001

 

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