Gefragt sind Leistungen und soziales Engagement
(25.Oktober 2000)

Viele bewerben sich nicht um Stipendien, weil sie die vermeintlich hohen Hürden scheuen

Von Michael Przibilla

GIESSEN. Der Deutsche Akademische Austauschdienst hat sich zum Ziel gesetzt, Studierende durch Auslandsaufenthalte „zu international und interkulturell erfahrenem Führungsnachwuchs in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik“ zu qualifizieren. Solche Formulierungen wie diese aus der Selbstbeschreibung des DAAD – gekoppelt mit dem Anspruch, nur die Leistungselite zu fördern – halten viele Studenten davon ab, sich um ein Stipendium zu bewerben. Oft hängen die Hürden aber gar nicht so hoch, wie der erste Eindruck vermittelt. Und die Abgeschreckten bringen sich um wertvolle Impulse für den weiteren Werdegang.

Ein Auslandsaufenthalt während des Studiums zählt nicht umsonst zum Wunschprofil vieler Stellenausschreibungen für Akademiker. Und die Klagen aus Wissenschaft und Wirtschaft über zu niedrige Abgängerquoten mit internationaler Erfahrung sind ein bildungspolitischer Dauerbrenner. Dabei scheitert es in der Regel nicht an fehlendem Geld oder Möglichkeiten, eher an Bequemlichkeit oder mangelnder Traute. Denn für die ersten beiden Fälle gibt es verschiedene Organisationen, die finanzielle und organisatorische Hilfestellungen anbieten (siehe Infos rechts). Nur bewerben muss man sich selbst, und das bedeutet in aller Regel: Papierkram bewältigen, Gutachten über das eigene Leistungsvermögen einholen, Sprachtests absolvieren und eventuell auch den Mut aufbringen, vor Auswahlkommissionen Rede und Antwort zu stehen.

Einer, der sich getraut und den Aufwand nicht gescheut hat, ist Wolfram Kändler, der in Gießen für Geschichte eingeschrieben ist. Im August kehrte er aus Dublin zurück. Kändler kam in den seltenen Genuss eines Regierungsstipendiums. Ein Jahr lang hatte ihm der irische Staat monatlich umgerechnet etwa 1000 Mark überwiesen, damit er in Dublin studieren konnte. Alles, was von dem angehenden Historiker verlangt wurde, war ein ausführlicher Erfahrungsbericht. Vermittelt hatte das Stipendium das Akademische Auslandsamt in Gießen. Für den 24-Jährigen im neunten Semester ging mit dem Irland-Aufenthalt ein langgehegter Wunsch in Erfüllung . „Es war spannend, dieses Land im Umbruch zu erleben“, sagt Wolfram Kändler rückblickend und meint damit die derzeitigen Bemühungen Irlands, sich durch wirtschaftliche Innovationen ein modernes Image zu geben. Gewonnen hat er durch den Auslandsaufenthalt auf jeden Fall, neben anderen Dingen „Energie für das weitere Studium in Gießen.“

Nur ein Teil der Stipendienprogramme ist auf Auslandsaufenthalte ausgerichtet. Zahlreiche Instititutionen bieten studienbegleitende Förderprogramme an. Handelt es sich dabei nicht um ausschließlich leistungsorientierte Einrichtungen wie die „Studienstiftung des deutschen Volkes“, verlangen die Förderrichtlinien neben guten Leistungen häufig soziales, politisches oder kirchliches Engagement. Bekannte Einrichtungen in diesem Feld sind beispielsweise die parteinahen KonradAdenauer- oder Friedrich-Ebert-Stiftungen oder das Cusanuswerk der katholischen Kirche. Auch wenn die politisch orientierten Stiftungen keine Parteimitgliedschaft voraussetzen, empfiehlt es sich für Bewerber, diejenige mit der größten Nähe zur eigenen Weltanschauung zu bevorzugen.

Wer den amerikanischen Traum träumt und nicht alles aus eigener Tasche finanzieren kann, der sollte die so genannte „Fulbright-Kommission“ in den Blick nehmen. Sie ermöglicht es ausgewählten Studenten, als „inoffizielle Botschafter, die Lebensart und Kultur ihres Landes zu vertreten“, wie es in der Ausschreibung heisst. Anna-Pia Enslin steckt mitten drin im aktuellen Auswahlverfahren. Die ersten Hürden inklusive Toeffel-Test hat sie bereits genommen. Erst letztes Wochenende war die 24-jährige Germanistik-Studentin aus Usingen bei einer Auswahltagung in Bonn. Dort versuchte sie, ein Experten-Gremium von ihrer Eignung zu überzeugen. Vorher hat sie noch alles über Amerika gelesen, was ihr in die Finger kam. Das Ergebnis des Gesprächs hat ihr niemand mitgeteilt. Jetzt heißt es warten. Erst in den nächsten Wochen wird Anna-Pia Enslin einen Brief von der „Fulbright-Kommission“ bekommen, und wenn die Mitteilung positiv ausfällt, dann geht sie im nächsten Jahr für neun Monate nach Chicago, Washington oder Miami. So jedenfalls sieht ihre Wunschliste aus.

Wichtige Stipendiengeber

Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) ist weltweit der größte Stipendiengeber im Bereich akademischer Austausch. Bewerber sollten sich im oberen Drittel des Leistungsdurchschnitts bewegen. Der DAAD ermöglicht Studenten aller Fachrichtungen Aufenthalte in fast allen Ländern der Welt (Ausnahme: USA). Weitere Infos gibt es im Internet unter www.daad.de oder im Akademischen Auslandsamt bei Renate Lies.

Gute allgemeine Kenntnisse und die Beherrschung der englischen Sprache setzt die Fulbright-Kommission voraus, die ihren Stipendiaten einen einjährigen Aufenthalt in den USA ermöglicht. Ansprechpartner in Gießen ist Prof. Erhard Salzborn (Tel. 0641/9915100).

Für die Studienstiftung des Deutschen Volkes werden besonders begabte Studenten von ihren Professoren vorgeschlagen. Eigenbewerbungen sind nicht möglich. Die Förderung umfasst finanzielle und ideelle Bereiche (z.B. die jährliche Sommerakademie) über einen Zeitraum von mehreren Semestern. Federführender Vertrauensdozent der Stiftung in Gießen ist Prof. Wolfram Martini (0641/9928050).

Der Fond der Chemischen Industrie versucht über sein Stipendienprogramm, Abiturienten für das Studium der Chemie zu gewinnen. Bewerber sind deshalb in der Regel noch Schüler. Vertrauensdozent des Fonds in Gießen ist Prof. Jürgen Janek (Tel. 0641/9934501).

Die Programme der partei-, gewerkschafts- oder kirchennahen Stiftungen ähneln sich weitgehend. Guten und gesellschaftlich engagierten Studenten der Uni – teilweise auch der FH – bieten sie eine finanzielle Förderung, die sich nach den Grundsätzen des Bafög richtet. Das heißt, die Förderung ist abhängig von der finanziellen Situation der Eltern. Unabhängig davon wird von einigen ein Büchergeld von monatlich 150 Mark ausgezahlt. Im Unterschied zu Bafög müssen die Stipendiaten die Fördergelder nicht zurückzahlen. Auch Studienaufenthalte im Ausland werden durch diese Programme ermöglicht, allerdings nur im Rahmen eines allgemeinen Stipendiums. Darüber hinaus gibt es die ideelle Förderung, in erster Linie Seminare zu gesellschaftlichen und politischen Fragen oder allgemeinbildenden Charakters. Bei den meisten existieren Kontaktgruppen vor Ort. Die Bewerbung sollte während der ersten vier Semester erfolgen.

Träger der Hans-Böckler-Stiftung ist der Deutsche Gewerkschafts-Bund (DGB). Vorrangig werden Studenten unterstützt, die über den zweiten Bildungsweg ins Studium eingestiegen sind, also vor ihrem Studium schon gearbeitet haben. Vertrauensdozenten der Stiftung in Gießen sind Prof. Klaus Fritzsche (0641/9923070) und Prof. Jörn W. Scheer (0641/9945682).

Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung erwartet von ihren hochbegabten Stipendiaten politisches oder gesellschaftliches Engagement im liberalen Spektrum. Näheres wissen die Vertrauensdozenten Prof. Armin Bohnet (0641/9922100) und Prof. Peter Michael Schmitz (0641/9937060).

Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist die CDU-nahe Variante. Neben der allgemeinen Begabtenförderung gibt es hier noch das spezielle Programm für journalistische Nachwuchsförderung. Vertrauensdozentin in Gießen ist Prof. Irmgard Bitsch (0641/9939045).

Außerdem gibt es in diesem Spektrum noch die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung. Prof. Helmut Berding (0641/9928167), Prof. Ulrich Karthaus (0641/9929135), Prof. Klaus Lange (0641/9921180) und Prof. Gabriele Wolfslast (0641/9921481) sind ihre Vertrauensdozenten in Gießen.

Das Cusanuswerk wird von der Deutschen Bischofs-Konferenz finanziert. Bewerber müssen der römisch-katholischen Kirche angehören. Für Fragen steht Vertrauensdozent Prof. Theodor Klaßen (0641/9924181) zur Verfügung.

Bewerbungsvoraussetzung für das Evangelische Studienwerk ist unter anderem die Zugehörigkeit zu einer evangelischen Kirche. Vertrauensdozent Prof. Dieter Lorenz ist an der FH (0641/3092800) zu erreichen.

Erasmus, Tempus, Partner-Unis

Durch das EU-Austauschprogramm „Erasmus“, ein Unterprogramm von „Sokrates“, haben Studenten die Möglichkeit, in den Ländern der Europäischen Union zu studieren. Interessenten können sich ab drittem Semester bewerben. Als finanzielle Unterstützung sind pro Monat 200 bis 350 Mark vorgesehen. Rund 1000 Mark im Monat erhalten Austauschstudenten, die im Rahmen des Programmes „Tempus“ in Ländern außerhalb der EU studieren.

Wer an den Erasmus-Partnerschaftsuniversitäten studieren will, bewirbt sich über seinen Fachbereich beim jeweiligen Fachbereichskoordinator. Der betreut – zusammen mit seinem Gegenstück im Ausland – die Studenten, hilft ihnen, sich in der Fremde zurechtzufinden und sucht ihnen oft auch eine Wohnung. Die Koordinatoren sind über die Fachbereiche erfragbar oder im Internet unter http://www-sokrates.uni-giessen.de zu finden. Unabhängig davon ist die Justus-Liebig-Universität eine Vielzahl von Partnerschaften eingegangen, deren Austauschprogramme über unterschiedliche Dachverbände organisiert werden. Das bedeutet für Auslandstudenten, dass sie je nach Universität unterschiedlich betreut und unterstützt werden. Die JLU unterhält Partnerschaften mit Hochschulen in Kolumbien, der Türkei, USA, Frankreich, Polen, Ungarn und Russland. Darüber hinaus gibt es noch Kooperationsabkommen mit 16 ausländischen Hochschulen, darunter Universitäten in China, Thailand, Italien, Kanada, Nigeria, Rumänien, Costa-Rica, Peru und Australien. Die Namen und Standorte der Universitäten sowie Namen und Telefonnummern der jeweiligen JLU-Partnerschaftsbeauftragten finden sich im aktuellen Vorlesungsverzeichnis der Justus-Liebig-Universität auf den Seiten 14 und 15.(swa/prz)