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"Chatten macht Spaß"
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Verkommt die deutsche Sprache durch den Cyberslang? Der Linguist Peter Schlobinski gibt Entwarnung
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Von Dirk Asendorpf (Gesprächsführung)
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DIE ZEIT: Wann haben Sie Ihren letzten handgeschriebenen Brief verfasst?

PETER SCHLOBINSKI: Das ist so lange her, dass ich mich nicht mehr dran erinnern kann.

ZEIT: Ist mit dem Ersatz des Briefes durch die E-Mail nicht eine ganze Kommunikationskultur verloren gegangen?

SCHLOBINSKI: Das ist eine oft behauptete, unbewiesene Hypothese, die ich für falsch halte. Bei den Jugendlichen, die ich selber untersucht habe, hat sich gezeigt, dass insbesondere die Mädchen auch sehr viel geschrieben haben - Postkarten und Briefe. Wobei bestimmte Merkmale wie der Smiley dann auch auf Postkarten wieder auftauchen.

ZEIT: Da bleibt nicht die sprachliche Ausdruckskraft auf der Strecke?

SCHLOBINSKI: Private E-Mails haben teilweise den gleichen Duktus, den gleichen Stil wie ein persönlicher Brief. Nur weil man ein formelles Medium hat und einen Computer benutzt, wird die Kommunikation nicht schlechter.

ZEIT: Gilt das auch für die Chats im Internet?

SCHLOBINSKI: Da haben wir eine Hybridisierung zwischen geschriebener und gesprochener Sprache. Schrift hat hier zum ersten Mal nicht mehr die Funktion zu archivieren, sondern synchron zu kommunizieren. Das schlägt sich auch sprachlich nieder. Die Kleinschreibung beschleunigt das Tippen. Wir haben Abkürzungen wie *g* für Grinsen oder *LOL* für loughing out loud, informationskomprimierende Strukturen wie *dichbeneid* oder *dumiraufdengeistgeh*. Diese haben sich historisch aus der Comicsprache entwickelt. Das heißt aber nicht, dass wir in den Chats nur Comicsprache finden. Wir haben auch dialektale Merkmale, Merkmale aus der Umgangssprache, teilweise eine etwas reduzierte Syntax. Ein ziemlich komplexes Register.

ZEIT: Führen E-Mail und Chatten womöglich sogar zu einer Renaissance des schriftlichen Ausdrucks?

SCHLOBINSKI: Das ist eine interessante Hypothese, die man untersuchen sollte. In der Tat entsteht hier eine neue Form der Schriftlichkeit. Mich erinnert das an die Dialektdiskussion: Es gibt verschiedene Register, und diejenigen, die diese verschiedenen Register ziehen können, sind kommunikativ im Vorteil. Chatten im Internet führt nicht zur Deprivation.

ZEIT: Kritisiert wird auch die Anglisierung der Sprache im Internet.

SCHLOBINSKI: Wir haben das systematisch untersucht. Es wimmelt im Internet keineswegs von Anglizismen. Da gibt es zwar Ausdrücke wie zum Beispiel Downloaden, Internet oder E-Mail. Aber das sind inzwischen etablierte Begriffe, die jeder kennt. Außerdem werden sie oft in deutsche Begriffe umgewandelt. Ich sage meinen Studenten ja nicht: "Ladet mal die Datei down", sondern ich sage: "Ladet mal die Datei runter." Die englischen Begriffe werden integriert. Wir können das Partizip und den Infinitiv bilden, die Aussprache wird angepasst, es heißt dann gemailt oder layoutet. Dass hier die deutsche Sprache zerstört würde, ist blanker Unsinn.

ZEIT: Also kein Bedarf für ein Sprachenschutzgesetz?

SCHLOBINSKI: Nein, wir hatten schon die Rechtschreibreform, das reicht jetzt erst mal an Regelungsmaßnahmen.

ZEIT: Die Angst vor einer Internet-Sondersprache ist unbegründet?

SCHLOBINSKI: In Büchern mit Einführungen zu Internet und E-Mail findet man oft auch einige Seiten zur Sprache im Internet. Da gibt es Listen von Smileys und 150 Abkürzungen, und es wird behauptet, es gebe eine Sondersprache des Internet. Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive finden wir dort aber nur eine ganz normale sprachliche Variation, wie es sie in der wirklichen Welt überall gibt. Mit meiner Tochter rede ich ja auch anders als im Seminar. Wer Comics liest, fängt ja deshalb nicht an, nur noch in Comicsprache zu reden. So einfach ist das nicht. Wir verfügen alle über eine sehr komplexe Sprache. Das war immer so, und das wird auch immer so sein.

ZEIT: Macht Ihnen das Chatten eigentlich Spaß?

SCHLOBINSKI: Erst mal war das wissenschaftlich interessant. Aber es hat mir auch Spaß gemacht. Man chattet ja unter Pseudonym. Da hat meine Tochter erst eine Stunde gechattet, und dann hab ich mich rangesetzt und unter ihrem Pseudonym weitergechattet. Ich war also plötzlich in der Rolle einer 15-Jährigen. Das war hoch interessant. Ich habe dann verschiedene Rollen durchprobiert - mal als chinesischer Student, mal als Yasmina, da reagieren sofort die männlichen Pseudonyme. Da gibt es Doppelagenten: Frauen, die vorgeben, Männer zu sein, die vorgeben, Frauen zu sein; man hat beliebige Spielmöglichkeiten. Und einmal habe ich mich auch als Professor aus Hannover vorgestellt, aber das hat mir keiner geglaubt. Da hieß es dann: "Haha, Schweine können fliegen."

Peter Schlobinski, 47, ist Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Hannover er beschäftigt sich intensiv mit Sprache und Kommunikation im Internet. Die Fragen stellte Dirk Asendorpf


(c) DIE ZEIT   13/2001   


 
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