HOCHSCHULEDienstag, 16. Januar 2001
ZwischenfrageBayern Seite V2/16 / Deutschland Seite V2/16 / München Seite V2/16

ZWISCHENFRAGE

Warum sind Sie von
Deutschland enttäuscht,
Frau Wang?

In China wächst das Interesse an europäischer Geschichte. Oft aber wird die Neugier der Historiker durch den Mangel an Fachliteratur gebremst. Um so wichtiger sind Forschungsaufenthalte in westlichen Ländern. Wulf Reimer fragte Prof. Dr. Yaping Wang (Foto: Grohe) von der Universität Changchun nordöstlich Pekings nach ihren Erfahrungen als Stipendiatin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) an der Universität Tübingen. Die 48 Jahre alte Historikerin hat als erste Chinesin ein Buch über europäische Klöster geschrieben.

SZ:Hat sich für Sie das Jahr am Historischen Seminar der Eberhard-Karls-Universität gelohnt?

Wang:Ja, natürlich. Besonders gut fand ich die Vortragsreihen – etwa zur Millennium-Thematik – für ein breiteres Publikum.

SZ:Wovon haben Sie als Gastprofessorin am meisten profitiert?

Wang:Von den Bibliotheken, vom großen Angebot an Büchern. Gerade die Spezialliteratur zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit, die ich benötige, ist in China so nicht vorhanden.

SZ:Sind Sie an der Universität wissenschaftlich betreut worden?

Wang:Prof. Anton Schindling von der Abteilung für neuere Geschichte hat mir Gelegenheit zu einem Vortrag über chinesische Geschichtswissenschaft gegeben. Ein bisschen enttäuscht hat mich aber, wie eng der Blick vieler Tübinger Kollegen auf die europäische Vergangenheit gerichtet ist. In China wissen Historiker mehr über deutsche Geschichte als umgekehrt. Dies zu ändern, haben deutsche Hochschullehrer leider wenig Zeit – oder Lust.

SZ:Haben Sie sich in Tübingen isoliert gefühlt?

Wang:Sehr, vor allem im ersten halben Jahr. Gefehlt hat mir ein intensiver Austausch über historische, aber auch aktuelle politische und gesellschaftliche Themen. Ich habe promoviert über den Investiturstreit im Mittelalter, und im Anschluss an ein Buch über „Die Spaltung des Christentums“ möchte ich Fragen der Verfassungsgeschichte behandeln. Darüber hätte ich gern häufiger – außerhalb des Seminarbetriebs – mit Kollegen gesprochen.

SZ:Sie waren 1995 neun Monate Gastprofessorin in Sheffield. Was war anders in England?

Wang:In Sheffield gab es einen Professor, der sich ständig um mich gekümmert hat. Alles war vorbereitet: Schreibtisch, Computer, Telefon. Ich war ausgestattet wie die englischen Kollegen auch. In Tübingen habe ich erst vier Wochen vor meiner Rückkehr nach China einen PC mit Internet-Zugang gehabt. Im Sommer, während der Semesterferien, war die Universitätsbibliothek eine Zeitlang geschlossen, und der einzige allgemein zugängliche Computer auf dem Seminarflur war defekt.

SZ:Wie könnte ein Forschungsaufenthalt – in Ihrem Fall vom Deutschen Akademischen Austauschdienst bezahlt – künftig verbessert werden?

Wang:Es wäre schön, wenn schon vor der Ankunft eines ausländischen Gastprofessors ein gemeinsames Forschungsprojekt zwischen ihm und dem hiesigen Seminar vereinbart werden könnte.

übergeordnete Folder
Titel
ArtikelSZ vom 16.01.2001 - Hochschule
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
A011.687.833